Illness name: depersonalisation
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Julia Dobmeier absolviert derzeit ihr Masterstudium in Klinischer Psychologie. Schon seit Beginn ihres Studiums interessiert sie sich besonders für die Behandlung und Erforschung psychischer Erkrankungen. Dabei motiviert sie insbesondere der Gedanke, Betroffenen durch leicht verständliche Wissensvermittlung eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen.
Eine
Depersonalisation
ist ein psychischer Ausnahmezustand. Menschen, die darunter leiden, betrachten ihr Leben von außen, wie einen Film. Der eigene Körper, ihre Gefühle, aber auch andere Menschen und Objekte wirken auf sie fremd. Der Ursprung der Abspaltungen von sich und der Umwelt liegt oftmals in vorangegangenen traumatischen Erlebnissen. Lesen Sie hier alle wichtigen Informationen zum Thema Depersonalisation und Derealisation.
Die Depersonalisierung beschreibt eine Entfremdung von der eigenen Person. Betroffene haben eine gestörte Selbstwahrnehmung und fühlen sich von ihrem Ich losgelöst. Bei einer Derealisation hingegen plagt die Betroffenen der Eindruck, dass ihre Umwelt nicht real ist. Die Depersonalisation und die Derealisation treten häufig zusammen auf und werden daher als Depersonalisations- und Derealisationssyndrom bezeichnet oder unter dem Begriff Depersonalisation zusammengefasst.
Fast jeder Mensch erlebt im Leben derartige Symptome in schwacher Form und für begrenzte Zeit. Eine Depersonalisationsstörung bedeutet jedoch, dass die Betroffenen über einen langen Zeitraum oder in wiederkehrenden Episoden darunter leiden.
Die Depersonalisation ist eine Störung, die bisher nur wenig erforscht wurde. In vielen Fällen wird sie übersehen. Manchmal versteckt sie sich hinter einer anderen psychischen Störung, manchmal trauen sich die Betroffenen nicht, mit diesen Symptomen zum Arzt zu gehen, weil sie
Angst
haben, dass dieser sie nicht ernst nimmt oder für verrückt hält.
Nach Schätzungen sind etwa ein bis drei Prozent der Bevölkerung von einer Depersonalisationsstörung betroffen. Sehr häufig tritt sie als Symptom anderer psychischer Störungen auf. Dazu gehören Depressionen, phobische Störungen, Zwangsstörungen und die Borderlinestörung. Als eigenständige Störung wird sie häufig im Jugendalter diagnostiziert. Forscher der Klinik der Universitätsmedizin Mainz kamen bei ihrer Studie mit Schülern in Rheinland-Pfalz zu dem Ergebnis, dass 12 Prozent der Schüler Depersonalisationssymptome erleben. Das Depersonalisationssyndrom tritt bei Männern und Frauen in etwa gleich häufig auf.
Depersonalisation und Derealisation können in verschiedenen Schweregraden auftreten. Eine milde Form der Depersonalisation ist auch im Alltag zu beobachten, wenn Personen unter extremem Stress stehen oder nach Alkoholmissbrauch. Diese veränderte Wahrnehmung aufgrund von Erschöpfung ist allerdings nur von kurzer Dauer und muss nicht behandelt werden.
Lebensbedrohliche Situationen, die den Körper unter starken Stress setzen, können länger anhaltende Depersonalisationssymptome auslösen. In psychisch belastenden oder schmerzhaften Situationen mindert die Depersonalisation die Schmerzwahrnehmung. Es ist somit ein Schutzmechanismus der Psyche vor stark unangenehmen Empfindungen.
Sind die Symptome über mehrere Jahre hinweg dauerhaft vorhanden oder treten immer wieder auf, handelt es sich um eine psychische Störung. Die Hauptmerkmale der Depersonalisation sind das Entfremdungsgefühl, bezogen auf die eigene Person und die empfundene Unwirklichkeit der Realität. Die Betroffenen wissen nicht mehr, wer sie sind. Manche erkennen sich nicht mehr im Spiegel. Ihr Körper ist wie von ihnen losgelöst. Diesen Zustand beschreiben sie auch als Gefühl der Leblosigkeit. Wenn Personen sich innerlich gespalten fühlen in einen Teil, der handelt und einen, der beobachtet, sprechen Experten von einer außerkörperlichen Erfahrung („out-of-body experience“).
Häufig nehmen Betroffene nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Umwelt verändert wahr. Diese Wahrnehmung ist so unwirklich, dass die Personen sie nur schwer in Worte fassen können. Oft beschreiben sie ihre Sicht als verschwommen oder wie in einem Traum. Personen können leblos wirken, Objekte größer oder kleiner wahrgenommen werden und Geräusche verzerrt gehört werden.
Bei Tätigkeiten empfinden sie sich nicht als ausführende Person. Ihre Handlungen nehmen sie zwar wahr, aber es ist, als würden sie neben sich stehen und sich dabei beobachten. Da die Betroffenen keinen inneren Bezug zu ihren Handlungen haben, empfinden sie diese als fremd und automatisiert.
Häufig geht eine Depersonalisation mit einem Gefühl der inneren Leere einher. Auf emotionale Ereignisse reagieren Betroffene nicht. Sie zeigen weder Freude, Trauer noch Wut. Sie wirken daher oft kühl und abwesend. Diese Symptome ähneln stark denen einer depressiven Stimmung und sind nicht leicht voneinander abzugrenzen. Die Depersonalisation kann auch als Symptom einer
Depression
auftauchen. Die Depression kann jedoch umgekehrt auch als Folge der Depersonalisationssymptome auftreten.
Personen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, erinnern sich oft nicht mehr oder nur teilweise an diese Erlebnisse. Die Depersonalisation dient dann als Schutzschild und lässt negative Erinnerungen nicht in das Bewusstsein dringen. Unter Stress treten schnell Gedächtnisprobleme auf. Geschehnisse können von den Betroffenen auch häufig nicht zeitlich eingeordnet werden, weil ihre Zeitwahrnehmung verzerrt ist.
Im Unterschied zu Menschen mit einer
Psychose
wissen Menschen mit einem Depersonalisationssyndrom, dass die veränderte Wahrnehmung aufgrund ihrer Erkrankung auftritt. Personen mit psychotischen Zuständen hingegen sind überzeugt, dass ihre Sicht der Welt real ist. Sie glauben beispielsweise, dass andere Menschen ihre Gedanken und Gefühle manipulieren können. Personen mit Depersonalisationssymptomen erkennen, dass nicht die Welt sich verändert hat, sondern dass etwas mit ihrer Wahrnehmung nicht stimmt. Dieses Wissen erhöht den Leidensdruck und ängstigt die Betroffenen.
Die Angst, verrückt zu werden, ist eine häufige Folge der Depersonalisation und Derealisation. Symptome der Losgelöstheit von sich und der Umwelt verunsichern die Personen zutiefst. Ebenso gehen Ängste, Zwänge und Depressionen oft mit einer Depersonalisation einher. Viele sprechen aus Angst, nicht ernst genommen zu werden, nicht über ihre Probleme.
Die Entstehung der Depersonalisation und Derealisation führen Experten auf das Zusammenspiel verschiedener Faktoren zurück. Man vermutet, dass die Veranlagung beeinflusst, ob die psychische Störung auftritt oder nicht. Bisher gibt es noch keine Nachweise für eine erbliche Komponente.
Experten gehen davon aus, dass Menschen mit einer erhöhten Grundängstlichkeit anfälliger für Depersonalisation und Derealisation sind. Ursachen sind, wie bei vielen psychischen Störungen, häufig in der Kindheit und Jugend zu finden. Stress und traumatische Erlebnisse sind die häufigsten Auslöser der Depersonalisation.
Als konkreter Auslöser von Depersonalisation spielt Stress eine zentrale Rolle. Insbesondere können traumatische Erfahrungen eine Depersonalisation auslösen. Schwere Krankheiten, Unfälle oder auch berufliche und heftige zwischenmenschliche Krisen können der Beginn einer Depersonalisation sein. In unerträglichen Situationen kann es passieren, dass sich Menschen von sich und dem Ereignis innerlich entfernen. Experten gehen davon aus, dass diese Reaktion ein Schutzmechanismus ist, wenn andere Bewältigungsstrategien nicht ausreichen. Die Betroffenen sind dann nur körperlich anwesend, aber in ihren Gedanken sind sie nicht präsent. Die Depersonalisation wird oft als Ruhe nach dem Sturm beschrieben. Erst wenn der Stress abnimmt, tauchen die Symptome der Depersonalisation auf.
Forscher haben herausgefunden, dass vor allem emotionale Vernachlässigung in der Kindheit eine Depersonalisation begünstigt. Diese Betroffenen haben zu wenig Zuwendung von ihren Eltern erhalten, wurden gedemütigt oder nicht wahrgenommen. Die fehlende Unterstützung durch das soziale Umfeld kann ungünstige Bewältigungsstrategien hervorrufen. So können bereits in der Kindheit erste Symptome der Entfremdung von sich und der Umwelt auftreten. Der Schweregrad der Depersonalisation hängt von der Intensität und Dauer der negativen Erfahrungen ab.
Personen, die ihre körperliche und psychische Gesundheit vernachlässigen, können Depersonalisationssymptome erleben. Außerdem kann eine Depersonalisation Folge eines Konsums illegaler Drogen oder einer
Alkoholvergiftung
sein. Auch ungenügender Schlaf und eine zu geringe Flüssigkeitszufuhr kann Symptome einer Depersonalisation hervorrufen oder die bestehenden Symptome verstärken.
Als ersten Ansprechpartner können Sie sich an Ihren Hausarzt wenden. Dieser wird bei Verdacht auf das Depersonalisationssyndrom eine körperliche Untersuchung durchführen. Denn die Depersonalisation kann auch als Folge körperlicher Erkrankungen, wie zum Beispiel
Epilepsie
oder
Migräne
auftreten. Der Arzt muss zudem ausschließen, dass die Symptome als Nebenwirkung von Medikamenten oder infolge eines Entzugs auftreten. Auch Drogen können Gefühle der Entfremdung erzeugen. Für die genaue Diagnose und die Behandlung überweist der Hausarzt an Fachärzte.
Zur Diagnose der Depersonalisation führt ein Psychiater oder Psychotherapeut ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten. Mithilfe klinischer Fragebögen kann der Arzt oder Therapeut feststellen, ob es sich tatsächlich um eine Depersonalisation handelt oder ob andere psychische Störungen vorliegen.
Folgende Fragen könnte der Arzt oder Therapeut zur Diagnose der Depersonalisationsstörung stellen:
Nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) muss für die Diagnose des Depersonalisations- und Derealisationssyndroms mindestens entweder eine Depersonalisation oder eine Derealisation vorliegen:
Zudem müssen sich die Betroffenen darüber bewusst sein, dass die veränderte Wahrnehmung nicht von außen erzeugt wird, sondern ihren eigenen Gedanken entspringt.
Die Erforschung der Depersonalisation und Derealisation steckt noch in den Kinderschuhen. Es fehlen Studien zur Wirksamkeit von Therapien und Medikamenten. Medikamente sind daher bis jetzt nicht zugelassen für die Therapie der Depersonalisation. Heilung im Sinne von völliger Symptomfreiheit ist bei einer schwachen Depersonalisation am wahrscheinlichsten. In schweren Fällen ist das Ziel, die Symptome zu mildern oder die Phasen, in denen die Depersonalisation auftritt, zu verkürzen. Die Methode der Wahl zur Behandlung ist die
Psychotherapie
.
Zu Beginn der Therapie klärt der Therapeut den Patienten ausführlich über die psychische Störung auf (Psychoedukation). Der Betroffene erlebt, dass sein Leiden ernst genommen wird und seine verzerrte Wahrnehmung kein Zeichen von „Verrücktheit“, sondern Teil einer Erkrankung ist. Der Patient lernt negative und katastrophisierende Gedanken zu hinterfragen und durch realistische Einschätzungen zu ersetzen. Ein wichtiges Ziel der Therapie ist es, Ängste zu verringern und die Person somit psychisch zu entlasten.
Ein weiterer Baustein in der Therapie ist der Umgang mit Stress. Bei vielen Patienten führen Belastungen zu Depersonalisationssymptomen. Sie begeben sich aus ihrem Körper und entfernen sich so von ihrer Umgebung und den Problemen. Dieser Vorgang läuft nach einiger Zeit automatisch ab. Mithilfe eines Tagebuchs soll der Patient notieren, welche Situationen die Symptome der Depersonalisation auslösen. Diese Übersicht hilft dem Betroffenen, Muster und Vorgänge der Erkrankung besser zu erkennen.
Zusammen mit dem Therapeuten erarbeiten die Patienten andere Strategien, um schwierige Situationen zu bewältigen. Der Betroffene muss lernen, beängstigende Situationen nicht mehr zu vermeiden. Wenn die Person Vertrauen in andere Bewältigungsstrategien fasst, muss sie sich nicht mehr von sich oder der Situation entfernen. Eine Veränderung des Lebensstils kann zur Genesung beitragen. Zu wenig Schlaf, Ernährung und mangelnde Flüssigkeitszufuhr verstärken die Symptome.
Treten Symptome von Entfremdungen auf, können zum Beispiel der Biss in eine Chili-Schote oder lautes Klatschen helfen, in die Realität zurückzufinden. Eine hilfreiche Methode kann auch Ablenkung sein. Gespräche oder sportliche Aktivitäten sollen die Gedanken in die Realität lenken. Ablenkung verhindert auch, dass sich Ängste hochschaukeln. Durch diese und andere Strategien lernen die Patienten, die Depersonalisationssymptome zu kontrollieren.
Entspannungsübungen sind bei einer Depersonalisation nicht zu empfehlen, da zu viel Ruhe die Symptome hervorrufen kann. Beruhigende Aktivitäten, wie zum Beispiel Spaziergänge, sind zur Erholung daher besser geeignet.
In vielen Fällen sind traumatische Erfahrungen die Ursache der Depersonalisation. Zur Bearbeitung von Traumata sollte der Patient zunächst einen guten Umgang mit den Symptomen gelernt haben. Außerdem ist es wichtig, dass der Betroffene seine Emotionen wahrnehmen, ausdrücken und einigermaßen steuern kann. Erst nach der Stabilisierungsphase kann eine Auseinandersetzung mit traumatischen Ursachen erfolgen.
Die ersten Depersonalisationssymptome zeigen sich meist schon in der Jugend oder sogar bereits im Kindesalter. Der Beginn im späten Erwachsenenalter ist sehr selten und stärkt den Verdacht auf eine organische Ursache. Die Depersonalisation kann sowohl chronisch als auch in Episoden auftreten. Der Verlauf hängt zum einen davon ab, wann die Depersonalisation eingesetzt hat und zum anderen, ob sie adäquat behandelt wird. Je früher die psychische Störung auftritt, desto schlechter ist die Prognose. Keine Behandlung benötigt eine milde Form der Depersonalisation und Derealisation. Heilung tritt in diesem Fall nach kurzer Zeit von alleine ein.
Sind die Symptome stark ausgeprägt, leiden die Betroffenen meist lange Zeit unter Symptomen der Depersonalisation und Derealisation. Mithilfe einer Psychotherapie können sie aber lernen, die Symptome besser zu kontrollieren. Außerdem können Betroffene den Verlauf günstig beeinflussen, indem sie Stress reduzieren. Unter psychischer Belastung hingegen verschlimmern sich die Symptome der
Depersonalisation
noch.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Julia Dobmeier absolviert derzeit ihr Masterstudium in Klinischer Psychologie. Schon seit Beginn ihres Studiums interessiert sie sich besonders für die Behandlung und Erforschung psychischer Erkrankungen. Dabei motiviert sie insbesondere der Gedanke, Betroffenen durch leicht verständliche Wissensvermittlung eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen.
Depersonalisation
Depersonalisation: Beschreibung
Depersonalisation: Wer ist betroffen?
Depersonalisation: Symptome
Verminderte Schmerzwahrnehmung
Entfremdung und unwirkliche Realität
Automatisierte Handlungen
Emotionale Leere
Erinnerungsprobleme
Realitätsbezug
Grübeln und Ängste
Depersonalisation: Ursachen und Risikofaktoren
Direkte Auslöser der Depersonalisation
Frühe Vernachlässigung
Risikofaktor Lebensstil
Depersonalisation: Untersuchungen und Diagnose
Depersonalisation: Behandlung
Ängste abbauen
Stressmanagement und Bewältigungsstrategien
Auseinandersetzung mit den Ursachen
Depersonalisation: Krankheitsverlauf und Prognose
Autoren- & Quelleninformationen