Illness name: strabismus
Description:
Fabian Dupont ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Der Humanmediziner ist bereits für wissenschaftliche Arbeiten unter anderem Belgien, Spanien, Ruanda, die USA, Großbritannien, Südafrika, Neuseeland und die Schweiz. Schwerpunkt seiner Doktorarbeit war die Tropen-Neurologie, sein besonderes Interesse gilt aber der internationalen Gesundheitswissenschaft (Public Health) und der verständlichen Vermittlung medizinischer Sachverhalte.
Beim Schielen (Strabismus)
weichen die beiden Sehachsen voneinander ab, sobald man ein Objekt fokussiert. Das kann bei Kindern die Hirnreifung maßgeblich beeinflussen und so die Sehfähigkeit lebenslang stark einschränken. Schielen kann unterschiedliche Ursachen haben und erfordert daher oft eine individuelle Therapie. Mehr über Strabismus lesen Sie hier.
Normalerweise bewegt man immer beide Augen gemeinsam in die gleiche Richtung. So wird sichergestellt, dass im
Gehirn
ein dreidimensionales Bild entsteht. Dieses Gleichgewicht kann allerdings gestört sein, sodass die Sehachsen voneinander abweichen, obwohl eigentlich auf etwas Bestimmtes fokussiert wird. Dann spricht man von Strabismus, umgangssprachlich Schielen.
Ein
manifester Strabismus (Heterotropie)
liegt vor, wenn das Schielen dauerhaft besteht. Beim
latenten Strabismus (
Heterophorie
)
dagegen schielt der Betroffene nur zeitweise. In beiden Fällen sind verschiedene Schielrichtungen möglich. Außerdem kann man das Schielen nach seiner Entstehungsweise in
Begleitschielen
und
Lähmungsschielen
einteilen.
Je nachdem, wie die Sehachse verschoben ist, unterscheidet man:
Latentes Schielen tritt zum Beispiel dann auf, wenn der Betroffene müde ist oder ein Auge abgedeckt wird. Analog zum manifesten Strabismus unterscheidet man auch hier die oben genannten Schielrichtungen: latentes Auswärts- (
Exophorie
) oder Einwärtsschielen (
Esophorie
), latenter Höherstand (
Hyperphorie
) oder Tieferstand eines Auges (
Hypophorie
) sowie latentes Verrollungsschielen (
Zyklophorie
).
Mehr über Symptome und Behandlung von latentem Strabismus lesen Sie im Beitrag
Heterophorie
.
Beim Begleitschielen, auch
Strabismus concomitans
genannt, bleibt der Schielwinkel bei allen Augenbewegungen konstant, das heißt, ein Auge „begleitet“ das andere. Räumliches Sehen ist nicht möglich, meist ist die Sehschärfe des schielenden Auges schwächer. Begleitschielen tritt in den meisten Fällen bei Kindern auf.
Es gibt verschiedene Formen von Begleitschielen. Am häufigsten ist das
Frühkindliche Schielsyndrom
, das bereits innerhalb der ersten sechs Lebensmonate auftritt - also bevor ein Baby gelernt hat, mit beiden Augen zu sehen (Binokularsehen). Es macht die Mehrzahl manifestens Schielens aus.
Beim
Normosensorischen Spätschielen
dagegen beginnt das Schielen bei Kindern nach dem ersten Lebensjahr, und damit nach Ausbildung des binokularen Sehens.
Eine weitere Form von Begleitschielen ist der
Mikrostrabismus
. Hier beträgt der Schielwinkel weniger als fünf Prozent, weshalb das Schielen oft erst spät entdeckt wird.
Beim Lähmungsschielen, auch
Strabismus paralyticus
oder
Strabismus incomitans
genannt, fällt ein Muskel oder ein versorgender Nerv der Augenmuskulatur aus. Dadurch kann sich das Auge nicht mehr vollständig bewegen, es entsteht eine Fehlstellung.
Anders als das Begleitschielen betrifft Lähmungsschielen alle Altersklassen. Es tritt meist als plötzlicher Strabismus ohne Warnsignale auf. Typische Merkmale sind Doppelbilder und eine falsche räumliche Einschätzung. Wird der Kopf schräg-seitlich gehalten, kann man das Schielen oft minimieren, da die Halsmuskeln den ganzen Kopf in eine schräge Position bringen, sodass das Auge geradeaus schaut, obwohl es seitlich aus der
Augenhöhle
blickt.
Schielen bei Kindern ist besonders häufig: Bei ungefähr sechs Prozent aller Kinder in Mitteleuropa tritt Begleitschielen auf (siehe unten: Ursachen), in über der Hälfte der Fälle vor Erreichen des dritten Lebensjahres. Da das Gehirn von Kindern sich noch stark entwickelt, erkennt das Gehirn die falsche Bildinformation des schielenden Auges als fehlerhaft und unterdrückt diese Information. Dadurch kann die Entwicklung der Sehleistung durch den Strabismus dauerhaft Schaden nehmen. Deswegen ist es besonders wichtig, Schielen bei Kindern früh zu behandeln.
Schielen an sich beschreibt lediglich zwei abweichende Blickachsen, ist also ein Symptom. Betroffene können zum Teil nicht gut räumlich sehen oder nehmen Doppelbilder wahr.
Oft ist es gar nicht so einfach, festzustellen, ob jemand wirklich schielt. Eine mögliche Fehlinterpretationen für Schielen bei Babys beruht auf den oft tiefsitzenden Augenlidern am Übergang zur
Nase
(Epikanthus). Durch sie kann der fälschliche Eindruck abweichender Sehachsen entstehen, obwohl die Blickachsen beider Augen gleich sind. Besonders oft ist dies bei asiatischen Babys der Fall. Dieses Phänomen nennt man auch Pseudostrabismus. Es besitzt keinen Krankheitswert, da kein Schielwinkel messbar ist.
Bei Verlust der Sehkraft auf einem Auge kommt es über mehrere Jahre hinweg langsam zum Auswärtsschielen. Manche Menschen haben ein Auswärtsschielen nur, wenn sie in die Ferne blicken. Dies nennt man intermittierendes Auswärtsschielen.
Der Schielwinkel ist abhängig von der Blickrichtung. In manchen Blickrichtungen fällt das Lähmungsschielen nicht auf, da meist nur ein spezieller Muskel von der zugrundeliegenden Lähmung betroffen ist und nicht immer alle
Augenmuskeln
an allen Augenbewegungen beteiligt sind.
Patienten mit Lähmungsschielen fallen meist bereits durch eine schräge Kopfhaltung auf, bei der der betroffene Muskel entlastet wird. Sie sehen mitunter Doppelbilder und haben das Bedürfnis, ein Auge zuzukneifen oder zuzuhalten.
Schielen kann viele Ursachen haben. Tritt das Schielen plötzlich auf, müssen Nervenschäden, Infektionen, Tumore oder Blutungen ausgeschlossen werden.
Hornhautverletzungen
sowie
Veränderungen der Retina
(
Netzhaut
) können den Strabismus concomitans auslösen. Bei Verlust der Sehkraft auf einem Auge kommt es über mehrere Jahre hinweg langsam zum Auswärtsschielen.
Bei Kindern muss besonders eine
Fehlsichtigkeit
ausgeschlossen werden - etwa bei Strabismus divergens, denn hierbei entsteht ein Nach-außen-Schielen. Auch
Geburtsschäden
sowie
Störungen in der Hirnentwicklung
können Schielen hervorrufen. Besonders Frühgeborene sind hiervon häufig betroffen: Eines von fünf Kindern mit einem Geburtsgewicht von maximal 1250g wird im späteren Leben schielen.
Bei Erwachsenen ist das Begleitschielen seltener. Die möglichen Ursachen sind hier zudem vielfältiger als bei Kindern - bei den Kleinen ist das Schielen je nach Lebensalter häufig den gleichen Gründen zuzuordnen.
Nicht immer ist allerdings klar nur eine Ursache für diese Art von Strabismus festzustellen: Die Augenmuskeln und die involvierten Nerven funktionieren, und der Auslöser muss tiefer im Hirn liegen als lediglich beim Ausfall eines Muskels. Auch wenn die Ursachen sich letztendlich nicht klären lassen, vermutet man meist ein Defizit in der sensomotorischen Kopplung einiger Muskeln. Das bedeutet, dass beispielsweise die Sensoren, die für die Stellung des Auges verantwortlich sind, nicht vollständig korrekte Informationen über die Muskellage ans Gehirn übermitteln und es so zu einer Fehlstellung kommt.
Das Lähmungsschielen kann bereits bei der
Geburt
durch ein
Hirntrauma
oder eine
fehlerhafte Gehirnausbildung
entstehen. Eine Lähmung einzelner Muskeln fußt manchmal auch in einer
Gehirnentzündung
(
Enzephalitis
) oder einer
Infektion
während der Kindheit. Masernviren können beispielsweise bis ins Gehirn vordringen und hier großen Schaden anrichten.
Auch
Schlaganfälle
,
Tumore
sowie
Blutgerinnsel
können eine Nervenbahn stören und so zu plötzlichem Lähmungsschielen führen. Da die Verschaltung der Sehbahn sehr kompliziert und der Ort der möglichen Schädigung vielfältig ist, muss oft auf detaillierte Bildgebung (MRT) zurückgegriffen werden, um die Ursache für den Strabismus zu klären.
Fehlsichtigkeit, die nicht behandelt wird, Frühgeburten sowie Sauerstoffmangel während der Geburt können zu Strabismus führen. Erblindet man während des Lebens auf einem Auge, nimmt dieses Auge nicht mehr aktiv am Sehvorgang teil, Fehlbewegungen werden nicht mehr ausgeglichen, und innerhalb weniger Jahre beginnt das betroffene Auge zu schielen.
Darüber hinaus gibt es eine familiäre Häufung von Schielerkrankungen, die eine genetische Ursache vermuten lassen.
Richtiger Ansprechpartner zum Thema Strabismus ist zunächst der Augenarzt. Er kann gegebenenfalls später einen Neurologen hinzuziehen.
Im Erstgespräch wird die Krankengeschichte erhoben (
Anamnese
). Dabei kann der Arzt unter anderem folgende Fragen stellen (bei Babys werden die Eltern befragt):
Bei manchen Patienten ist das Schielen eindeutig als solches zu erkennen, in anderen Fällen dagegen nicht - etwa weil der Schielwinkel weniger als fünf Grad beträgt (Mikrostrabismus). Ähnliches gilt für das extrem seltene Verrollungsschielen, bei dem ein Auge im oder gegen den Uhrzeigersinn um die Sehachse verdreht ist.
Generell lässt sich Schielen mit folgenden Methoden erkennen:
Beim Abdeck-Tests muss der Betroffene mit beiden Augen den Mittelpunkt eines Tafelkreuzes (Maddox-Kreuz) an der Wand fixieren. Dann deckt der Augenarzt ein Auge ab und beobachtet es. Das schielende Auge verrät sich durch eine Einstellbewegung in Richtung Fixpunkt.
Der Augenarzt beobachtet aus 30 Zentimetern Abstand die Lichtreflexe seines Visitenlämpchens auf den Pupillen des Säuglings oder Kleinkinds. Befinden sich die Reflexe nicht an identischen Positionen, liegt ein Schielwinkel vor.
Das Begleitschielen wird bei Kleinkindern in mehreren Schritten behandelt. Falls ein unkorrigierter Sehfehler (wie
Weitsichtigkeit
) vorliegt, bekommt das Kind eine
Brille
angepasst. Bei einseitiger Sehschwäche (z.B. bei Linsentrübung) muss man entsprechend die
Grunderkrankung behandeln
. Anschließend beobachtet der Augenarzt einige Monate, ob sich der Schielwinkel verflüchtigt.
Ist dies nicht der Fall, müssen die Augen - beginnend beim schwächeren - abwechselnd zugeklebt werden (
Okklusionsbehandlung
). So lässt sich eine Amblyopie (Schwachsichtigkeit) verhindern oder gegebenenfalls zurückdrängen. Denn das Gehirn wird gezwungen, trotz Strabismus das schwache Auge zu nutzen und zu trainieren. Die Okklusionsbehandlung kann Jahre dauern - so lange, bis sich die Sehschärfe des schwächeren Auges ausreichend verbessert hat. Der bleibende Schielwinkel lässt sich danach operativ korrigieren.
Tritt das Begleitschielen nach dem sechsten Lebensjahr auf, entfällt die Okklusionsbehandlung. Ansonsten erhalten Kinder, Jugendliche und Erwachsene die gleiche Behandlung wie Kleinkinder.
In manchen Fällen von Begleitschielen ist eine operativer Eingriff (
Schiel-Operation
) notwendig. Dabei werden zu stark wirkende Augenmuskeln gelockert beziehungsweise zu schwache Muskeln gestrafft. Die häufigste Form von Begleitschielen - das frühkindliche Schielsyndrom - wird bei gesunden Kindern idealerweise im 5. bis 6. Lebensjahr operiert. Der Eingriff ist risikoarm und hat gute Erfolgschancen.
Beim Lähmungsschielen muss man – soweit möglich – die
Ursache behandeln
(zum Beispiel den
Schlaganfall
). Mitunter lässt sich ein Schielwinkel auch mit einer
Prismenbrille
ausgleichen. Das ist aber eher selten der Fall. Bei einigen Patienten kommt eine
Schiel-Op
in Betracht.
Es gibt keine allgemein gültige Prognose bei Strabismus. Schielt jemand aufgrund eines einseitigen Sehverlusts, wird sich dies nicht von selbst bessern. Anders bei einem Strabismus, der infolge einer Fehlsichtigkeit auftritt: Wird die Fehlsichtigkeit zügig behandelt, kann sich das Schielen innerhalb einiger Monate oder weniger Jahre auswachsen.
Der Verlauf bei Strabismus ist also stark von der Ursache abhängig. Je besser der Auslöser zu behandeln ist, desto besser ist auch die Prognose. Je später und plötzlicher im Leben das Schielen auftritt, desto schwieriger ist dagegen die Behandlung. Eine Prognose muss daher individuell vom behandelnden Arzt gestellt werden. Oft ist ein interdisziplinärer Ansatz mit Neurologen, Augenärzten, Kinderärzten, Radiologen und Internisten gefordert, um alle Ursachen des
Strabismus
abdecken zu können.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Fabian Dupont ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Der Humanmediziner ist bereits für wissenschaftliche Arbeiten unter anderem Belgien, Spanien, Ruanda, die USA, Großbritannien, Südafrika, Neuseeland und die Schweiz. Schwerpunkt seiner Doktorarbeit war die Tropen-Neurologie, sein besonderes Interesse gilt aber der internationalen Gesundheitswissenschaft (Public Health) und der verständlichen Vermittlung medizinischer Sachverhalte.
Strabismus
Strabismus: Beschreibung
Manifestes Schielen (Heterotropie)
Latentes Schielen (Heterophorie)
Begleitschielen
Lähmungsschielen
Schielen bei Kindern
Strabismus: Symptome
Symptome bei Lähmungsschielen
Strabismus: Ursachen und Risikofaktoren
Ursachen fürs Begleitschielen
Ursachen fürs Lähmungsschielen
Risikofaktoren für Strabismus
Strabismus: Untersuchungen und Diagnose
Abdeck-Test
Hirschberg-Methode
Strabismus: Behandlung
Behandlung bei Begleitschielen
Behandlung beim Lähmungsschielen
Strabismus: Verlauf und Prognose
Autoren- & Quelleninformationen