Illness name: morbus paget
Description:
Dr. med. Mira Seidel ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.
Morbus Paget
(Osteitis deformans, Osteodystrophia deformans) ist eine Erkrankung der Knochen: Es bilden sich dabei stellenweise verdickte und verformte Knochen. Die Ursache von Morbus Paget ist bisher unbekannt, möglicherweise spielen genetische Faktoren und eine Virusinfektion eine Rolle. Da viele Betroffene keinerlei Symptome zeigen, wird die Krankheit meist erst spät oder gar nicht entdeckt. Erfahren Sie hier mehr über Morbus Paget.
Die Krankheit Morbus Paget, auch Osteitis deformans oder Osteodystrophia deformans genannt, ist nach dem britischen Chirurgen Sir James Paget (1814–1899) benannt.
Der Begriff wird synonym für verschiedene Krankheitsbilder verwendet: Orthopäden meinen mit "Morbus Paget" die Knochenkrankheit Osteodystrophia deformans. Gynäkologen bezeichnen mit "Morbus Paget der Mamille" eine seltene Krebsform der
Brust
, genauer gesagt der
Brustwarze
. Daneben gibt es noch den "Morbus Paget der
Vulva
", eine krankhafte Gewebeveränderung im Schambereich. Im Folgenden wird jedoch ausschließlich die Paget-Krankheit der Knochen behandelt.
Die Knochen gesunder Menschen befinden sich in einem fortwährenden Umbauprozess (auch Remodeling genannt), bei dem alte Knochensubstanz abgebaut und parallel dazu neu gebildet wird. Bei Menschen mit Morbus Paget kommt es im Vergleich zu gesunden Menschen zu vermehrten Knochenumbauprozessen. In der Folge ist die Knochensubstanz weniger stabil und es besteht ein erhöhtes Risiko für Verdickungen, Verformungen und Brüche der Knochen.
Besonders betroffen sind stark belastete Knochen wie Becken, Oberschenkel, Schienbein,
Wirbelsäule
und
Schädel
(Kaubewegungen).
Morbus Paget beginnt meist nach dem 40. Lebensjahr und ist die zweithäufigste Knochenerkrankung nach der
Osteoporose
. Etwa ein bis zwei Prozent der über 40-Jährigen in Westeuropa sind von der Erkrankung betroffen. Am häufigsten tritt sie in England auf, in Asien und auf dem afrikanischen Kontinent hingegen ist sie sehr selten. Es erkranken mehr Männer daran als Frauen, oft tritt die Erkrankung familiär gehäuft auf.
Nur etwa 30 Prozent der Betroffenen erhalten die Diagnose zu Lebzeiten – es gibt also eine erhebliche Anzahl nicht diagnostizierter Fälle. Eine Therapie ist nicht immer erforderlich.
Bei Morbus Paget sind etwa ein Drittel der Betroffenen beschwerdefrei, bei ihnen stellt der Arzt die Erkrankung in der Regel nur durch Zufall fest. Bei anderen Menschen äußert sich die Erkrankung mit verschiedenen Symptomen.
Die verminderte Knochenstabilität und die Knochenverformung bei Morbus Paget führen bei einigen Menschen zu Rissen und Brüchen in den Knochen. Die Betroffenen klagen über Knochenschmerzen. Darüber hinaus verursacht die veränderte Knochenstatik zum Teil Fehlbelastungen mit Muskelverspannungen und hartnäckigen
Muskelschmerzen
.
Schreitet Morbus Paget weiter voran, entwickeln sich infolge von Knochenbrüchen Fehlstellungen. Teilweise treten extreme Verformungen der betroffenen Knochen auf, die von außen sichtbar sind. Typisch sind zum Beispiel gebogene und dadurch verkürzte Schienbeine (Säbelscheiden-Schienbein) oder ein vergrößerter Kopfumfang.
An den angrenzenden Gelenken kommt es durch die Fehlstellungen manchmal zu sogenannten Sekundärarthrosen: Durch den verformten Knochen sind die Gelenke übermäßig belastet, wodurch sie verschleißen.
Morbus Paget kurbelt den Knochenstoffwechsel an. Dadurch entstehen neue
Blutgefäße
, die zu einer erhöhten Durchblutung führen. Die Gefäße erweitern und entzünden sich. Liegt der Knochen direkt unter der
Haut
, beispielsweise am Schienbein, ist die verstärkte Durchblutung als Überwärmung fühlbar.
Durch die unkontrollierte Knochenbildung bei Morbus Paget geraten manchmal auch Nerven in Mitleidenschaft. Beispielsweise ist es möglich, dass durch eine zunehmende Schädelgröße Nerven oder sogar Hirngewebe komprimiert werden.
Sind Nerven im Bereich des Schädelknochens betroffen, tritt in 30 bis 50 Prozent der Fälle eine Schwerhörigkeit auf. Grund sind Schallempfindungsstörungen und seltener Schallleitungsstörungen, die auf Veränderungen der Ohrknöchelchen oder eine Kompression der Hörnerven zurückzuführen sind.
Bei weniger als einem Prozent der Morbus-Paget-Betroffenen entwickelt sich an den von der Krankheit betroffenen Knochen ein Osteosarkom. Das ist ein bösartiger Knochentumor, der im Volksmund auch als
Knochenkrebs
bekannt ist. Befallen werden vor allem Becken-, Oberschenkel- und Oberarmknochen. Die Betroffenen bemerken, dass sich die Beschwerden plötzlich verschlimmern und die Deformation des Knochens zunimmt. Im
Blut
lässt sich ein Anstieg des Leberenzyms alkalische Phosphatase nachweisen.
Knochen sind keine statischen Strukturen, sondern werden ständig umgebaut. Daran sind vor allem zwei unterschiedliche Zelltypen beteiligt: Osteoklasten bauen Knochensubstanz ab, während Osteoblasten sie wiederaufbauen. Bei einem gesunden Menschen läuft dieser Prozess koordiniert ab – Knochenaufbau und Knochenabbau befinden sich im Gleichgewicht.
Im Gegensatz zum gesunden Knochen verlaufen diese Auf- und Abbauprozesse beim Morbus Paget nicht gleichmäßig, sondern ohne System und regional unterschiedlich. Schuld daran sind krankhaft veränderte Osteoklasten, die sogenannten Riesenosteoklasten. Sie sind deutlich aktiver als die gesunden Varianten und bauen daher mehr Knochensubstanz ab.
Als Reaktion darauf versucht der Körper bei Morbus Paget, neues Knochenmaterial zu bilden, es kommt zu einem überschießenden Knochenaufbau. In der Folge ist die Knochensubstanz insgesamt weniger stabil, und es besteht ein erhöhtes Risiko für Verdickungen, Verformungen und Knochenbrüche. Die Umbauprozesse betreffen insbesondere Knochen, die stark beansprucht werden.
Warum die Osteoklasten bei Menschen mit Morbus Paget aktiver sind, ist nicht genau bekannt. Experten vermuten, dass eine genetische Veranlagung eine Rolle spielt. Möglicherweise ist auch eine Infektion mit bestimmten
Viren
an der Entstehung von Morbus Paget beteiligt. Mit dem Elektronenmikroskop finden sich nämlich an den befallenen Arealen Einschlüsse in den Zellkernen der krankhaft veränderten Osteoklasten, die an Viren erinnern. Diese Einschlüsse finden sich nur bei Morbus-Paget-Osteoklasten, aber in keinen anderen Knochenzellen.
Nicht immer suchen Betroffene wegen ihrer Beschwerden einen Arzt auf. Häufig erfolgt die Diagnose der Erkrankung zufällig, etwa durch Veränderungen der Blutwerte oder im Röntgenbild, das der Arzt aus einem anderen Grund macht.
Zunächst erhebt der Arzt die Krankengeschichte (
Anamnese
). Denn schon anhand der Symptome, die der Betroffene beschreibt, lässt sich ungefähr einschätzen, ob Morbus Paget als Ursache infrage kommt. Der Arzt erkundigt sich bei der Anamnese möglicherweise:
Bei der körperlichen Untersuchung tastet der Arzt behutsam die betroffenen Stellen ab, um damit einen Eindruck der Schmerzintensität zu bekommen. Er prüft ebenfalls, ob Fehlhaltungen wie Deformitäten, Kontrakturen oder Verkürzungen vorliegen. Im Seitenvergleich (rechte und linke Körperseite) sieht der Arzt, ob sich Muskelmasse zurückgebildet hat. Er kontrolliert möglicherweise, ob das Gangbild flüssig oder hinkend ist. Des Weiteren führt er einige Funktionsprüfungen der Gelenke durch und kontrolliert den Bewegungsumfang.
Gegebenenfalls sind neurologische Untersuchungen notwendig, um zu testen, ob der Wirbelkanal verengt oder das
Rückenmark
komprimiert ist.
Eine Blut-Untersuchung zeigt bei Menschen mit Morbus Paget in der Regel eine erhöhte Konzentration des Enzyms alkalische Phosphatase (AP). Dies ist ein Hinweis auf eine gesteigerte Aktivität der Osteoblasten, also der knochenaufbauenden Zellen.
Auch die Aktivität der Osteoklasten, der knochenabbauenden Zellen, lässt sich bestimmen. Dazu kontrolliert der Arzt die Menge von Desoxypyridinolin im
Urin
. Das ist eine Substanz, die beim Knochenabbau freigesetzt wird.
Um Morbus Paget sicher zu diagnostizieren, ist eine Röntgenuntersuchung notwendig. Der Verlauf der Paget-Krankheit ist in drei Phasen unterteilt, die im Röntgenbild sichtbar sind. Die Anzeichen der drei Phasen sind jedoch oft auch gleichzeitig nachweisbar:
Um nach weiteren Knochenläsionen zu suchen, führt der Arzt eine Knochen-Szintigrafie durch. Das ist eine nuklearmedizinische Untersuchung, die deutlich empfindlicher ist als eine Röntgenaufnahme. Mit ihr lassen sich deshalb erheblich mehr befallene Knochenareale entdecken. Für die Untersuchung erhält der Betroffene eine radioaktiv markierte Substanz in den
Blutkreislauf
.
Die Substanz lagert sich im Knochen ab, und zwar insbesondere dort, wo er eine hohe Stoffwechselaktivität aufweist und besonders gut durchblutet ist. In einer anschließenden Röntgenaufnahme lassen sich die Anreicherungen der Substanz im Knochen nachweisen und damit Areale mit gesteigertem Knochenumbau identifizieren.
Je nach Krankengeschichte und den Ergebnissen der körperlichen Untersuchung und der Labortests folgen weitere apparative Untersuchungen. So führt der Arzt möglicherweise eine
Computertomografie
(CT) oder eine Magnetresonanztomografie (MRT) durch, um zu klären, ob die Wirbelsäule von Morbus Paget betroffen ist.
Die Ziele der Morbus-Paget-Behandlung sind einerseits, die Schmerzen zu lindern, und andererseits, den Knochenumbau aufzuhalten. Dazu kommen Medikamente zum Einsatz, die den gesteigerten Knochenabbau durch die Osteoklasten bremsen. Deformierungen und Brüche der Knochen lassen sich so vermeiden. Für Betroffene ist es zudem ratsam, auf eine ausreichende Zufuhr von
Kalzium
und
Vitamin D
zu achten, da beide eine wichtige Rolle im Knochenstoffwechsel spielen.
Mittel der Wahl, um die Osteoklastenaktivität zu drosseln, sind Bisphosphonate. Sie stehen in Tablettenform (zum Beispiel Risedronsäure) oder zur
Infusion
über die Vene (zum Beispiel Pamidronsäure und Zoledronsäure) zur Verfügung.
In Tablettenform nimmt der
Darm
die Wirkstoffe allerdings nur schlecht auf. Deshalb ist es wichtig, sie auf nüchternen
Magen
mit einem großen Glas Wasser einzunehmen. Um die Aufnahme im Darm nicht zu behindern, wird empfohlen, anschließend etwa eine Stunde nichts zu essen. Bei etwa zwei bis zehn Prozent der Betroffenen treten bei oraler Anwendung von Bisphosphonaten Nebenwirkungen wie Übelkeit,
Bauchschmerzen
, Erbrechen oder
Durchfall
auf. Dies lässt sich mit einer Infusion verhindern.
Alternativ lässt sich Morbus Paget mit dem Hormon Calcitonin behandeln, das ebenfalls die Aktivität der Osteoklasten hemmt. Es scheint jedoch weniger wirksam als Bisphosphonate zu sein. Die Betroffenen erhalten Calcitonin entweder über eine Spritze oder über die
Nase
mithilfe eines Nasensprays. Eine orale Anwendung ist nicht möglich, da die Magensäure das Hormon zerstören würde.
Leiden Menschen mit Morbus Paget unter anhaltenden Schmerzen, zunehmenden Knochenverformungen, Frakturen und sekundären Arthrosen, insbesondere in den Beinen, ist die Gabe von Schmerzmitteln ratsam. Bei der medikamentösen Schmerztherapie ist
Paracetamol
das Mittel der ersten Wahl.
Mit physikalischen Maßnahmen wie Krankengymnastik, Massage und
Elektrotherapie
sowie mit lokalen Injektionen ist es ebenfalls möglich, die Schmerzen zu lindern. Von einer Wärmebehandlung ist hingegen abzuraten, da die Knochen bei Morbus Paget bereits überwärmt sind.
Bei Oberschenkelbrüchen sowie fortgeschrittenen Arthrosen der Hüft- und Kniegelenke ist unter Umständen eine Operation sinnvoll. Treten neurologische Symptome wie beispielswiese Lähmungen oder Gangstörungen auf, die durch Nervenkompressionen infolge von Knochenverformungen im Bereich des Wirbelkanals auftreten, ist eine Operation an der Wirbelsäule erforderlich.
Morbus Paget verläuft in vielen Fällen symptomlos und verursacht keine Beschwerden. Eine Behandlung ist dann nicht erforderlich. Treten im Krankheitsverlauf Beschwerden auf, lassen sich diese mit Medikamenten und anderen Maßnahmen lindern.
Durch die Erkrankung ist das Risiko, an Knochenkrebs (Osteosarkom) zu erkranken, erhöht. Zwar ist weniger als ein Prozent der Menschen mit Morbus Paget davon betroffen, dennoch sind regelmäßige ärztliche Kontrollen wichtig. Zur Verlaufskontrolle ist es ratsam, regelmäßig den Blutspiegel der alkalischen Phosphatase (AP) zu bestimmen. Verstärken sich im Krankheitsverlauf die Schmerzen oder treten neue Schmerzen auf, ist es unter Umständen sinnvoll, nochmals zu röntgen, um andere mögliche Erkrankungen auszuschließen.
Trotz der mehr oder weniger starken körperlichen Einschränkungen ist die Lebenserwartung bei Morbus Paget in der Regel nicht verkürzt.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Dr. med. Mira Seidel ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.
Morbus Paget
Kurzübersicht
Was ist Morbus Paget?
Welche Symptome treten bei Morbus Paget auf?
Morbus Paget: Knochen-, Gelenk- und Muskelschmerzen
Morbus Paget: Überwärmung
Morbus Paget: Nervenkompression
Morbus Paget: Schwerhörigkeit
Morbus Paget: bösartige Tumore
Ursachen und Risikofaktoren
Untersuchungen und Diagnose
Morbus Paget: Krankengeschichte
Morbus Paget: Körperliche Untersuchung
Morbus Paget: Laboruntersuchung
Morbus Paget: Röntgen
Morbus Paget: Szintigrafie
Morbus Paget: Computertomografie oder Magnetresonanztomografie
Behandlung
Behandlung mit Bisphosphonaten
Behandlung mit Calcitonin
Schmerztherapie
Chirurgische Therapie
Krankheitsverlauf und Prognose
Autoren- & Quelleninformationen