Illness name: kugelzellanaemie
Description:
Astrid Leitner studierte in Wien Tiermedizin. Nach zehn Jahren in der veterinärmedizinischen Praxis und der Geburt ihrer Tochter wechselte sie – mehr zufällig – zum Medizinjournalismus. Schnell war klar: Das Interesse an medizinischen Themen und die Liebe zum Schreiben ergeben für sie die perfekte Kombination. Astrid Leitner lebt mit Tochter, Hund und Katze in Wien und Oberösterreich.
Die Kugelzellanämie ist eine angeborene Erkrankung, bei der ein Defekt der roten Blutkörperchen eine Blutarmut auslöst. Meist wird die Erkrankung bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter diagnostiziert. Lesen Sie hier, wie die Krankheit entsteht, wie sie vererbt wird und welche Symptome dabei auftreten!
Die Kugelzellanämie (Hereditäre Sphärozytose) ist eine genetisch bedingte, angeborene Erkrankung, die eine Veränderung der roten Blutkörperchen verursacht. Sie gehört zur Gruppe der hämolytischen Anämien. Darunter versteht man eine Blutarmut (Anämie), die durch einen erhöhten oder vorzeitigen Zerfall von roten Blutkörperchen (Hämolyse) bedingt ist. Eine Kugelzellanämie ist nicht ansteckend und wird auch nicht im Laufe des Lebens erworben.
Rote Blutkörperchen (
Erythrozyten
) werden im Knochenmark gebildet und gelangen anschließend in den
Blutkreislauf
. Sie sind unter anderem für den Sauerstofftransport im Körper zuständig und haben eine typische Form: Unter dem Mikroskop erscheinen sie als runde Scheiben, die in der Mitte von beiden Seiten leicht eingedellt sind, was unter dem Mikroskop als „Aufhellung“ sichtbar ist.
Bei der Kugelzellanämie sind die Erythrozyten aufgrund einer Genveränderung verformt. Statt der normalen Scheibenform werden sie kugelförmig (sphäroid), was namensgebend für die Erkrankung (hereditäre Sphärozytose) ist. Da die kugelförmigen Erythrozyten kleiner als gesunde sind, sprechen Ärzte auch von Mikrosphärozyten.
Die Milz ist Teil des Immunsystems und unter anderem zuständig für den Abbau alter und fehlerhafter Erythrozyten. Bei der Kugelzellanämie erkennt die Milz die veränderten roten Blutkörperchen als fremd, filtert sie vorzeitig aus dem Blutkreislauf und baut sie ab. Durch den massiven Abbau der veränderten Blutzellen entwickeln Betroffene schließlich eine Blutarmut (Anämie). Abhängig davon, wie sich der Mangel an roten Blutkörperchen auf den Körper auswirkt, unterscheidet man vier Schweregrade der Kugelzellanämie: leicht, mittelschwer, schwer und sehr schwer.
Die Kugelzellanämie ist die bei weitem häufigste angeborene hämolytische Anämie, zählt aber insgesamt zu den seltenen Erkrankungen: Sie betrifft etwa einen von 5.000 Einwohnern in Mitteleuropa.
Personen mit Kinderwunsch, die die Genveränderung in sich tragen beziehungsweise an Kugelzellanämie erkrankt sind, empfiehlt sich eine humangenetische Beratung. Dabei wird anhand einer Blutuntersuchung eingeschätzt, wie hoch das Risiko ist, die Erkrankung an seine Nachkommen weiterzugeben.
Bei der autosomal-dominant vererbten Kugelzellanämie beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung an das Kind weitergegeben wird, 50 Prozent, bei der autosomal-rezessiven 25 Prozent. Es ist aber auch möglich, ein vollkommen gesundes Kind auf die Welt zu bringen.
Ursache für die Kugelzellanämie sind angeborene Genveränderungen. Sie bewirken, dass die „Umhüllung“ der roten Blutkörperchen (Erythrozytenmembran) instabil wird. Die “Umhüllung” wird durchlässiger, da bestimmte Bestandteile der Membran fehlen oder nicht mehr funktionstüchtig sind. Wasser und Salze (insbesondere
Natrium
) können leichter einströmen und die roten Blutkörperchen aufblähen. Dadurch verändert sie sich: Sie verlieren ihre natürliche Scheibenform und werden kugelig.
Am häufigsten sind die Gene für die Membranproteine „Ankyrin“, „Bande-3-Protein“ und „Spektrin“ betroffen, seltener kommt es zu Veränderungen der Gene von „Protein 4.2“ und „Rh-Komplex“.
Bei 75 Prozent aller Betroffenen wird die Erkrankung autosomal-dominant vererbt. Das bedeutet, dass die Erkrankung auch dann an das Kind weitergegeben wird, wenn nur ein Elternteil die Genveränderung in sich trägt. Das veränderte Erbgut setzt sich durch, ist also dominant – die Krankheit bricht aus.
Bei den übrigen 25 Prozent wird sie entweder autosomal-rezessiv vererbt oder tritt neu auf (Spontanmutation). Autosomal-rezessive Vererbung bedeutet, dass die Erkrankung beim Kind nur dann ausbricht, wenn es die Genveränderung von beiden Elternteilen geerbt hat. Bei einer Spontanmutation sind beide Eltern gesund, die Genveränderung entsteht beim Kind spontan während der Embryonalentwicklung. Wie es dazu kommt, ist unbekannt.
Außerdem gibt es sogenannte „Anlageträger“: Betroffene tragen veränderte Gene in sich, ohne selbst zu erkranken. Dennoch können sie die Erkrankung an ihre Nachkommen weitergeben.
Welche Symptome bei der Kugelzellanämie auftreten, hängt von der Ausprägung der Erkrankung und ihrem Verlauf ab. Die Beschwerden variieren von Patient zu Patient. Manche Betroffene sind völlig beschwerdefrei und werden nur zufällig diagnostiziert, andere haben bereits im Kindesalter schwere Symptome.
Blutarmut (Anämie):
Wenn die Milz zu viele Blutkörperchen abbaut, fehlen diese im
Blut
, und es kommt zur Blutarmut. Da Erythrozyten für den Sauerstofftransport zuständig sind, wird der Körper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Betroffene entwickeln deswegen unspezifische Symptome wie Blässe, Müdigkeit, Leistungsabfall und Kopfschmerzen.
Gelbsucht (Ikterus):
Durch den übermäßigen Abbau von roten Blutkörperchen fallen vermehrt Abbauprodukte wie
Bilirubin
an. Bilirubin verursacht typische Gelbsucht-Symptome wie die Gelbfärbung der
Haut
und der Augen. Es bildet sich, wenn mit den Erythrozyten auch der rote Blutfarbstoff
Hämoglobin
abgebaut wird. Der ist normalerweise für den Transport von Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid verantwortlich.
Milzvergrößerung (
Splenomegalie
):
Bei der Kugelzellanämie ist die Milz verstärkt damit beschäftigt, die fehlerhaften Blutkörperchen abzubauen und vergrößert sich dadurch. Eine Milzvergrößerung äußert sich unter Umständen durch Schmerzen im linken Oberbauch. Wird sie sehr groß, kann sie sogar reißen. Betroffenen wird daher geraten, auf Sportarten, die mit Schlägen auf den Bauch einhergehen können, zu verzichten. Dazu zählen zum Beispiel Kampf- oder Ballsportarten.
Gallensteine (Cholelithiasis):
Die Abbauprodukte der roten Blutkörperchen können in der Gallenblase verklumpen und Gallensteine bilden, die ihrerseits die Gallenblase oder den Gallengang reizen und/oder versperren. Typisch sind dann starke Schmerzen im Oberbauch. Entwickelt sich zusätzlich eine Entzündung, kommen Fieber und
Schüttelfrost
hinzu.
Aplastische Krise:
Bei einer aplastischen Krise bildet das Knochenmark vorübergehend keine roten Blutkörperchen mehr. Da die Milz aber weiterhin die fehlerhaften Blutkörperchen abbaut, kommt es plötzlich zu einem starken Rückgang der Erythrozyten. Der Körper wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Fast immer brauchen Betroffene dann eine
Bluttransfusion
.
Auslöser der aplastischen Krise ist bei Patienten mit Kugelzellanämie oft eine Infektion mit
Ringelröteln
(Parvovirus B19). Betroffene stecken sich üblicherweise im Kindesalter an. Nach überstandener Infektion sind sie in der Regel lebenslang immun.
Ringelröteln werden bei Kindern mit Kugelzellanämie leicht übersehen, da gerade bei ihnen die sonst typischen Ringelröteln-Symptome wie der schmetterlingsförmige Ausschlag an den Wangen, und der girlandenförmige Ausschlag an Armen, Beinen und am Rumpf fehlen!
Hämolytische Krise:
Bei der hämolytischen Krise zerfällt plötzlich eine große Anzahl an roten Blutkörperchen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich Betroffene mit bestimmten
Viren
infizieren. Typische Symptome einer hämolytischen Krise sind Fieber, Schüttelfrost, Kopf-, Bauch- und
Rückenschmerzen
, Gelbsucht und brauner
Urin
. Bei jungen Erwachsenen ist der Verlauf meist milder als bei Babys und Kindern, aber auch bei ihnen ist die hämolytische Krise ein medizinischer Notfall. Alle Patienten benötigen sofort eine Bluttransfusion.
Rufen Sie bei Verdacht auf eine hämolytische Krise sofort den Notarzt!
Erste Hinweise auf eine Kugelzellanämie zeigen sich häufig bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter. In leichten Fällen ist es möglich, dass sich der Verdacht auf die Erkrankung erst zufällig im Rahmen einer Blutuntersuchung ergibt.
Die Diagnose stellt in der Regel ein Spezialist für Bluterkrankungen bei Kindern und Jugendlichen (pädiatrischer Hämatologe). Der Arzt führt hierzu mehrere Untersuchungen durch, da es nicht den einen Test gibt, mit dem sich eine Kugelzellanämie eindeutig diagnostizieren lässt.
Die Diagnosestellung umfasst:
Krankengeschichte (
Anamnese
):
Im Erstgespräch erkundigt sich der Arzt nach dem Krankheitsverlauf und den aktuellen Beschwerden. Gibt es in der Familie bereits Fälle von Kugelzellanämie (positive Familienanamnese), ist dies ein erster Hinweis auf die Erkrankung.
Körperliche Untersuchung:
Anschließend untersucht der Arzt den Patienten und achtet dabei besonders auf typische Symptome der Kugelzellanämie wie Blässe, Schmerzen im Bauch und Gelbsucht.
Blutuntersuchung:
Erhärtet sich der Verdacht auf eine Kugelzellanämie, nimmt der Arzt dem Patienten Blut ab. In der Regel sind mehrere Blutwerte verändert. Besonders auffällig sind die typischen kleinen Kugelzellen im Blutausstrich. Diese erkennt der Arzt unter dem Mikroskop an ihrem charakteristischen Aussehen (kleine, dunkelrote Erythrozyten mit fehlender zentraler Aufhellung).
Kugelzellen kommen auch bei Personen vor, die keine Kugelzellanämie haben. Manchmal sind sie vorübergehend bei Verbrennungen, bestimmten Infektionen oder nach einem Schlangenbiss im Blut zu finden.
Ultraschalluntersuchung:
Eine Milzvergrößerung oder Gallensteine weist der Arzt mittels Ultraschalluntersuchung zweifelsfrei nach.
Eine Kugelzellanämie wird in der Regel bereits im Säugling- oder Kleinkindalter diagnostiziert. Ein Arztbesuch ist dann erforderlich, wenn Betroffene Symptome wie plötzlich auftretende Blässe, zunehmende Müdigkeit, fieberhafte Infektionen, Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen entwickeln.
Da die Ursache für die Kugelzellanämie in einer Genveränderung liegt, gibt es keine Behandlung, die die Erkrankung ursächlich heilt. Die Therapie zielt also vor allem darauf ab, die Beschwerden zu lindern und Komplikationen vorzubeugen. In den meisten Fällen lässt sich eine Kugelzellanämie aber gut behandeln, sodass Betroffene eine normale Lebenserwartung haben.
Bluttransfusionen:
Bei der Bluttransfusion erhält der Patient rote Blutkörperchen (Erythrozytenkonzentrat) von einem gesunden Spender. Eine Bluttransfusion ist vor allem bei Kindern im ersten und zweiten Lebensjahr mit mittelschwerem Verlauf notwendig, da bei ihnen die Bildung der roten Blutkörperchen verzögert ist. Nach dem zweiten Lebensjahr setzt der Arzt Bluttransfusionen vor allem zur Behandlung einer hämolytischen oder einer aplastischen Krise ein.
Entfernung der Milz (Splenektomie):
Die Entfernung der Milz führt dazu, dass die veränderten Blutkörperchen langsamer abgebaut werden und folglich länger überleben. Dadurch wird verhindert, dass eine Blutarmut auftritt.
Da die Milz wichtig für die Abwehr von Krankheitserregern ist, wird sie nicht vollständig entfernt, ein kleiner Teil bleibt erhalten. So kann die verbliebene Milz als Teil des Immunsystems weiterhin Abwehrzellen (Antikörper) gegen bestimmte Krankheitserreger produzieren.
Bei schwerem und sehr schwerem Verlauf wird die Milz noch vor dem Schuleintrittsalter entfernt. Bei mittelschwerem Verlauf zwischen dem siebten und zehnten Lebensjahr.
Entfernung der Gallenblase (
Cholezystektomie
):
Bei Patienten, die im Verlauf der Erkrankung Gallensteine entwickeln, ist es unter Umständen notwendig, die Gallenblase zu entfernen.
WICHTIG: Nicht alle genannten Behandlungsformen sind bei jedem Patienten notwendig. Welche Therapie eingesetzt wird, richtet sich immer nach dem individuellen Krankheitsverlauf!
Da die Milz ein wichtiger Teil des Immunsystems ist, erhöht sich nach ihrer Entfernung das Risiko für Infektionen. Ähnliches gilt für Blutgerinnsel (Thrombosen),
Schlaganfall
und
Herzinfarkt
.
Um den Folgen einer Milzentfernung vorzubeugen, geben Ärzte folgende Empfehlungen:
Antibiotikum:
Patienten, denen die Milz entfernt wird, erhalten in der Regel vor und wiederholt nach dem Eingriff ein Antibiotikum, um schweren Infektionen mit bakteriellen Erregern vorzubeugen.
Impfungen:
Kinder mit Kugelzellanämie, denen die Milz entfernt wurde, werden genauso wie gesunde Kinder nach den aktuellen Empfehlungen geimpft. Besonders wichtig ist, dass Betroffene gegen Erreger wie Pneumokokken (
Lungenentzündung
), Meningokokken (Hirnhautentzündung) und Haemophilus influenzae Typ b (Hirnhautentzündung, Kehldeckelentzündung) geschützt sind.
Regelmäßige Kontrollen beim Arzt:
Patienten, denen die Milz entfernt wurde, wird geraten, regelmäßige Kontrollen wahrzunehmen.
Gesunde und ausgewogene Ernährung:
Zudem sollten Betroffene auf eine ausreichende Folsäure- und Vitamin-B12-Aufnahme achten.
Bei frühzeitiger Erkennung und Behandlung der Kugelzellanämie ist die Prognose sehr gut, Betroffene haben dann in der Regel eine normale Lebenserwartung.
Da die Kugelzellanämie genetisch bedingt ist, gibt es keine Maßnahmen, um der Erkrankung vorzubeugen. Eltern, die Träger der Genveränderungen sind beziehungsweise selbst an Kugelzellanämie leiden, können sich humangenetisch beraten lassen. Dabei schätzt der Humangenetiker nach einer Blutuntersuchung der Eltern ab, wie hoch das Risiko ist, die Erkrankung an das Kind weiterzugeben.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Astrid Leitner studierte in Wien Tiermedizin. Nach zehn Jahren in der veterinärmedizinischen Praxis und der Geburt ihrer Tochter wechselte sie – mehr zufällig – zum Medizinjournalismus. Schnell war klar: Das Interesse an medizinischen Themen und die Liebe zum Schreiben ergeben für sie die perfekte Kombination. Astrid Leitner lebt mit Tochter, Hund und Katze in Wien und Oberösterreich.
Kugelzellanämie
Kurzübersicht
Ursachen: Genveränderungen, die Defekte in den roten Blutkörperchen verursachen
Was ist eine Kugelzellanämie?
Häufigkeit
Kugelzellanämie und Kinderwunsch
Wie entsteht eine Kugelzellanämie?
Wie wird die Kugelzellanämie vererbt?
Symptome
Typische Symptome einer Kugelzellanämie
Mögliche Komplikationen einer Kugelzellanämie
Diagnose
Wann zum Arzt?
Behandlung
Nach der Milzentfernung
Prognose
Vorbeugen
Autoren- & Quelleninformationen