Illness name: neuromyelitis optica
Description:
Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).
Neuromyelitis optica
(NMO) ist eine seltene Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Sie wird heute zusammen mit eng verwandten Krankheitsbildern unter "Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen" (NMOSD) zusammengefasst. Lesen Sie hier mehr zu Ursachen, Symptomen und Behandlung der Neuromyelitis optica (NMO) bzw. NMOSD sowie zur Lebenserwartung der Betroffenen.
Die Neuromyelitis optica (NMO; auch Devic-Syndrom genannt) ist eine seltene, entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Sie wurde früher als Sonderform der
Multiplen Sklerose (MS)
betrachtet. Mittlerweile gilt die Neuromyelitis optica aber als eigenständige Erkrankung.
Dabei gibt es neben der schon lange bekannten NMO noch andere Formen beziehungsweise eine Reihe sehr ähnlicher Erkrankungen. Mediziner fassen sie heute unter dem Begriff
Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen
(engl. neuromyelitis optica spectrum disorder, NMOSD) zusammen:
In allen Fällen handelt es sich autoimmun vermittelte Entzündungen im zentralen Nervensystem mit meist schubförmigem Verlauf. Betroffen sind besonders Sehnerv, Rückenmark und Hirnstamm. Die dortigen Entzündungen rufen neurologische Symptome hervor, die oft in schwere körperliche Behinderungen münden.
Mehr über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von NMOSD und MS erfahren Sie
hier
.
Frauen entwickeln deutlich häufiger eine Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung als Männer. Meist bricht eine solche Erkrankung zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr aus - also im Schnitt ungefähr ein Jahrzehnt später als eine Multiple Sklerose. Gelegentlich erkranken aber auch schon Kinder oder aber erst Menschen im höheren Lebensalter an einer NMOSD.
Menschen mit Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen leiden oft zusätzlich an weiteren Autoimmunerkrankungen. Darunter fallen zum Beispiel eine Gehirnerkrankung im Rahmen einer autoimmun bedingten
Schilddrüsenentzündung
, das
Sjögren-Syndrom
und Myasthenia gravis.
Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen sind chronische Erkrankungen und bislang nicht heilbar. Generell wichtig ist ein möglichst frühzeitiger Behandlungsbeginn in jeder Krankheitsphase. Zum einen lassen sich so die oft schwerden Schübe besser abfangen. Zum anderen kann man das Risiko für weitere Schübe verringern.
Neurologische Einbußen bleiben nach einem Krankheitsschub meist zumindest teilweise bestehen. Sie summieren sich von Schub zu Schub zu mitunter schwerwiegenden Behinderungen. So erblinden viele Patienten an einem oder an beiden Augen. Lähmungen an Armen und Beinen zwingen Betroffene nicht selten in den Rollstuhl.
Darüber hinaus kann eine NMOSD die Lebenserwartung beeinträchtigen: Bleibt die Erkrankung unerkannt oder unbehandelt, sterben bis zu 30 Prozent der Betroffenen innerhalb der ersten fünf Jahre nach Krankheitsausbruch an Atemversagen (infolge der Rückenmarksentzündung).
Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) können Symptome wie
Sehstörungen
, Muskelschwäche, Lähmungen, Empfindungsstörungen der
Haut
, Inkontinenz, Schluckauf oder Übelkeit und Erbrechen hervorrufen.
Die genauen Beschwerden hängen davon ab, welche Stellen im zentralen Nervensystem entzündet sind.
Sehnerventzündung
(Optikusneuritis)
: Typisch für eine Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung ist eine ein- oder beidseitige Entzündung des Sehnervs. Sie beeinträchtigt das Sehvermögen. Manche Betroffene erblinden infolgedessen. Außerdem können Bewegungen des Auges schmerzen.
Rückenmarksentzündung (
Myelitis
)
: Sensibilitätsstörungen, Muskelschwäche und Lähmungen bis hin zu einer
Querschnittslähmung
sind Folgen einer NMOSD am Rückenmark. Patienten haben oft auch einschießende Schmerzen (
Nervenschmerzen
) und können womöglich ihren
Urin
und Stuhlgang nicht halten.
Area-postrema-Syndrom
: Manchmal entzünden sich bei einer Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung auch Teile des Gehirns - etwa die Area postrema an der Rückseite des Hirnstamms. Das schlägt sich in Episoden von unerklärlichem Schluckauf oder Übelkeit und Erbrechen nieder.
Akutes Hirnstammsyndrom
: Seltener betrifft die NMOSD den Hirnstamm ohne Einbeziehung der Area postrema. Dadurch fallen
Hirnnerven
aus, eventuell ist auch das Atemzentrum lebensbedrohlich gesört (gestörter Gasaustausch in der
Lunge
= respiratorische Insuffizienz).
Zwischenhirnsyndrom
(dienzephales Syndrom): Es äußert sich mit plötzlichen Schlafattacken (
Narkolepsie
), Störungen der Körpertemperaturregulation und/oder einer Unterfunktion der
Hypophyse
.
Zerebrales Syndrom
: Bei manchen NMOSD-Patienten entzündet sich Nervengewebe in den Gehirnhälften (Großhirnhemisphären). Das kann sich mit unvollständigen Lähmungen (Paresen), Sprachstörungen,
Kopfschmerzen
und epileptischen Anfällen äußern.
Die oben beschriebenen Symptome einer Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung können mehr oder weniger schwer ausgeprägt sein und treten meist in Schüben auf. Der zweite Schub folgt im Schnitt acht bis zwölf Monate nach dem ersten; der Zeitabstand kann aber auch Jahre betragen.
Nach einem Schub bilden sich die NMOSD-Symptome meist nicht vollständig zurück. Betroffene entwickeln mit der Zeit zunehmende Behinderungen.
Die Schübe einer NMOSD sind deutlich aggressiver als die einer Multiplen Sklerose. Schon nach den ersten Schüben können Betroffene bleibende schwere Behinderungen (z.B. Erblindung, Lähmungen) davontragen.
Selten haben NMOSD-Patienten nach einem ersten Schub keine weiteren mehr. Mediziner sprechen dann von einer monophasischen Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung.
Gegen eine NMOSD spricht, wenn sich die Erkrankung ohne Schübe immer weiter verschlechtert. Solche Verläufe kennt man von der Multiplen Sklerose, sind bei einer NMOSD aber allenfalls Einzelfälle.
Wissenschaftler haben die Neuromyelitis optica als Autoimmunerkrankung erkannt, als sie erstmals bestimmte
Autoantikörper
im
Blut
von Patienten entdeckten. Autoantikörper sind Abwehrstoffe des Immunsystems, die körpereigenes Gewebe angreifen.
Im Falle von Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen sind es Antikörper vom Typ
Immunglobulin G
, die sich gegen Aquaporin-4 (AQP-4) richten. Das ist ein Protein, das als Wasserkanal in der Membran bestimmter Zellen dient - vor allem im Bereich des Sehnervs und Rückenmarks, aber auch im Hirnstamm und in anderen Regionen.
Bei diesen Zellen handelt es sich um Astrozyten. Das sind Zellen des Nervengewebes (
Gliazellen
), die gewissermaßen als "Helferzellen" des Nervensystems fungieren. Die AQP-4-Autoantikörper binden an den Wasserkanälen dieser Zellen binden und aktivieren so das Komplementsystem. Das ist ein Abwehrmechanismus des Immunsystems, der die betroffenen Astrozyten letztlich zerstört und auflöst. Gleiches bewirken Abwehrzellen, die aufgrund der gebundenen Autoantikörper die Zelle angreifen.
Infolgedessen weitet sich die Entzündung um die betroffenen Zellen herum aus: Die Schutzhüllen (Myelinscheiden) von Nervenfasern gehen zugrunde (Demyelinisierung) und Nervenfortsätze (Axone) werden direkt geschädigt.
Antikörper gegen AQP-4 lassen sich bei den meisten, aber nicht allen Patienten nachweisen. Wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind, können Ärzte dann trotzdem eine NMOSD diagnostizieren (siehe unten).
Bei Beschwerden, die auf Nervenschäden hindeuten, ist ein Facharzt für Krankheiten des Nervensystems der richtige Ansprechpartner. Er wird sich zunächst nach den genauen Symptomen und der bisherigen
Krankheitsgeschichte
erkundigen (
Anamnese
).
Anschließend untersucht er den Patienten eingehend und achtet besonders auf
neurologische Defizite
. An verschiedenen Körperstellen testet der Arzt beispielsweise die Muskelkraft und überprüft die Reflexe (neurologische Untersuchung).
Mittels
MRT
(Magnetresonanz- oder
Kernspintomografie
) macht der Arzt Bilder von
Gehirn
(inkl. Sehnerv) und Rückenmark. In der Regel erhalten die Patienten dabei auch ein Kontrastmittel. So kann der Arzt krankhafte Veränderungen besser erkennen (z.B. durch das Kontrastmittel leuchtend hell erscheinende Flecken, die auf eine Entzündung hindeuten können).
Bei einer NMOSD-bedingten Entzündung kann sich der betroffene Rückenmarksbereich der Länge nach über drei oder mehr Wirbelkörpersegmente ziehen (die Wirbelkörper/-knochen umschließen das Rückenmark und dienen daher als eine Art Lineal für Schäden im Rückenmark). Mediziner sprechen dann von "longitudinaler extensiver transverser Myelitis" (mehr dazu lesen Sie im Beitrag
Transverse Myelitis
).
Bei
Blutuntersuchungen
werden routinemäßige Parameter wie großes Blutbild, Blutzucker, C-reaktives-Protein (
CRP
) sowie Leber- und Nierenwerte ermittelt. Das Labor sucht zudem nach Autoantikörpern im Blut (siehe nächster Abschnitt).
Eine
Untersuchung des Nervenwassers
(Liquordiagnostik) während eines NMOSD-Schubs zeigt oft eine erhöhte Zellzahl. Eine solche Pleozytose kann aber auch viele andere Ursachen haben.
Selten oder nur vorübergehend lassen sich bei NMOSD bestimmte Eiweißmuster (sogenannte oligoklonale Banden) im
Liquor
nachweisen - im Gegensatz etwa zur Multiplen Sklerose, wo solche Eiweißmuster fast immer vorhanden sind. Auch bei anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems sind oligoklonale Banden keine Seltenheit.
Spricht das Krankheitsbild für eine Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung, testen Ärzte das Blut auf
Antikörper gegen den Wasserkanal Aquaporin-4 (AQP-4-Antikörper)
. Prinzipiell können sie auch das Nervenwasser auf AQP-4-Antikörper untersuchen. Diese Testung bringt aber keine Zusatzinformationen im Vergleich zu einer Testung im Blutserum.
Aquaporin-4-Antikörper finden sich bei sehr vielen Menschen mit NMOSD (etwa 80 Prozent). Es gibt aber auch Menschen, die keine AQP-4-Antikörper, aber dennoch eine Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung haben.
Fällt ein erster Test auf AQP-4-Antikörper negativ aus, und Ärzte vermuten weiterhin eine NMOSD, wiederholen sie den Test üblicherweise. Die AQP-4-Antikörper sucht man dann in einem anderen Labor und/oder mit einem anderen Testverfahren und/oder zu einem anderen Zeitpunkt.
Zusätzlich kann in einem solchen Fall eine Testung auf
MOG-Antikörper
weiterhelfen. Diese Autoantikörper greifen ein bestimmtes Protein (Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein) in den Schutzhüllen der Nervenzellen im zentralen Nervensystem an. Wie bei einer NMOSD stehen dabei Sehnerv, Rückenmark und Hirnstamm im Fokus des Krankheitsgeschehens. Deshalb kommen MOG-AK-assoziierte Erkrankungen als Differenzialdiagnose von Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen in Betracht.
Im Zuge der NMOSD-Abklärung lassen Ärzte immer auch
antinukläre Antikörper (ANA)
im Blut bestimmen. Diese Autoantikörper treten bei verschiedenen Autoimmunerkrankungen auf, etwa bei solchen des Bindegewebes (Kollagenosen). Sie kommen einerseits als mögliche alternative DIagnose (Differenzialdiagnose) bei NMOSD in Frage. Andererseits kann es - laborchemisch und in Bezug auf die Symptome - auch Überschneidungen zwischen Kollagenosen und einer Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung mit AQP-4-Antikörpern geben.
Im Einzelfall können noch weitere Untersuchungen notwendig sein, vor allem zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen. Das können beispielsweise weitere Blutuntersuchungen oder bildgebende Verfahren (wie
Röntgen
) sein.
Für die Diagnose einer Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung ist zunächst wichtig, ob sich IgG-Antikörper gegen Aquaporin-4 im Blut eines Patienten finden oder nicht. Daran orientieren sich die Diagnosekriterien.
Von einer Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung mit AQP-4-Antikörpern sprechen Ärzte, wenn alle folgenden Kriterien erfüllt sind:
1. Es ist mindestens eines der sechs typischen Krankheitsausprägungen ("Kernsymptome") vorhanden. Diese sind:
2. Im Blutserum sind AQP-4-Antikörper zu finden.
3. Differenzialdiagnosen - also andere Erkrankungen, die als Ursache für die Symptome und krankhaften Veränderungen in Betracht kommen - lassen sich ausschließen.
Fehlen AQP-4-Antikörpern oder ist der Antikörper-Status unbekannt, können Ärzte dennoch eine NMOSD diagnostizieren - vorausgesetzt folgende Kriterien sind erfüllt:
1. Im Blut finden sich keine AQP-4-Antikörper oder der Antikörper-Status ist unbekannt.
2. Andere Krankheiten kommen nicht als Ursache infrage (Differenzialdiagnosen ausgeschlossen).
3. Es sind mindestens zwei der sechs Kernsymptome infolge eines oder mehrere Schübe vorhanden, wobei alle drei der folgenden Voraussetzungen erfüllt sein müssen:
Bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen gibt es zum einen die Schubtherapie und zum anderen die Langzeittherapie. Zusätzlich behandeln Ärzte je nach Bedarf NMOSD-Symptome wie Schmerzen und Blasen- oder Darmfunktionsstörungen.
Die Schubtherapie bei NMOSD orientiert sich an jener bei Multipler Sklerose: Möglichst bald nach Beginn eines Erkrankungssschubs erhalten NMOSD-Patienten Glukokortikoide ("Kortison") und/oder eine Apherese (Blutwäsche).
Bei der
Kortisontherapie
bekommen Patienten den stark entzündungshemmenden Wirkstoff zunächst fünf Tage in hoher Dosierung als
Infusion
über die Vene. Anschließend verordnen Ärzte Kortison-Tabletten und verringern deren Dosierung schrittweise (Ausschleichen der Therapie).
Bei der
Apherese
(Plasmaseparation) werden in mehreren Zyklen Antikörper aus dem Blut des Patienten entfernt. Dafür stehen zwei Verfahren zur Verfügung (Plasmapherese und Immunadsorption), die in ihrer Wirksamkeit vergleichbar sind.
Die Blutwäsche ist bei NMOSD-Patienten unabhängig davon, ob sie in ihrem Blut Autoantikörper haben oder nicht. Sie kann sinnvoll sein als:
Ist die Diagnose Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) gesichert, beginnt die Langzeittherapie (Intervalltherapie) idealerweise rasch nach dem ersten Krankheitsschub. Sie besteht in einer
Immuntherapie
. Diese zielt darauf ab, das Immunsystem so zu beeinflussen, dass weitere Krankheitsschübe möglichst verhindert werden.
Die genaue Immuntherapie richtet sich nach dem jeweiligen Patienten. Entscheidend ist mitunter, ob sich im Blut des Patienten AQP4-Antikörper finden oder nicht. Außerdem berücksichtigen die Ärzt noch andere Faktoren wie die Krankheitsaktivität und das Alter des Patienten.
Prinzipiell kommen für die Langzeittherapie bei NMOSD unter anderem folgende Wirkstoffe in Betracht:
Eculizumab
: Das ist ein künstlich hergestellter Antikörper, der das Komplementsystem hemmt - also jenen Abwehrmechanismus, der bei einer NMOSD letztlich das Nervensystem schädigt. Eculizumab wird als Infusion verabreicht. Als Nebenwirkungen treten oft Kopfschmerzen sowie Infektionen der oberen Atemwege auf. Wichtigstes Risiko ist das Auftreten schwerer Infektionen.
Rituximab
: Ein weiterer künstlich hergestellter Antikörper. Er dockt an einem bestimmten Oberflächenprotein (CD20) von bestimmten Immunzellen, den B-Lymphozyten, an, woraufhin diese von anderen Immunzellen zerstört werden. B-Lymphozyten können an der Entstehung von Autoimmunerkrankungen beteiligt sein (u.a. über die Bildung von Autoantikörpern). Mehr über Wirkweise, Anwendung und Nebenwirkungen erfahren Sie
hier
.
Tocilizumab
: Ein künstlich hergestellter Antikörper, der die Andockstellen des Botenstoffes Interleukin-6 blockiert. Dieser vermittelt bei NMOSD Entzündungsreaktionen und sorgt dafür, dass B-Lymphozyten zu Plasmazellen heranreifen, die dann (Auto-)Antikörper freisetzen. Den Wirkstoff gibt es in der Regel als Infusion, manchmal auch als Spritze unter die Haut. Mögliche Nebenwirkungen sind u.a. vermehrte Infektionen und erhöhte
Blutfettwerte
.
Satralizumab
: Dieser künstlich hergestellte Antikörper ist eine Weiterentwicklung von Tocilizumab (mit längerer Wirksamkeit). Er ist als Fertigspritze verfügbar und wird unter die Haut verabreicht. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Kopf- und Gelenkschmerzen, eine Verringerung der
Leukozyten
, erhöhte Blutfettwerte sowie injektionsbedingte Reaktionen (wie
Durchfall
sowie Rötung,
Juckreiz
und Schmerzen an der Einstichstelle).
Inebilizumab
: Ein weiterer künstlich hergestellter Antikörper. Er bindet wie Rituximab an B-Lymphozyten, allerdings an einem anderen Oberflächenprotein (CD19). Der Effekt bleibt gleich: Andere Immunzellen zerstören die betreffende B-Zelle. Inebilizumab geben Ärzte als Infusion. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören etwa Infektionen (wie Harnwegsinfekte), Gelenk- und
Rückenschmerzen
sowie infusionsbedingte Reaktionen (Kopfschmerzen, Übelkeit, Benommenheit, Atemnot, Fieber, Ausschlag etc.).
Azathioprin
: Dieser Wirkstoff ist ein Immunsuppressivum, kann also Abwehrreaktionen unterdrücken. Mehr über seine Wirkweise, Anwendung sowie die möglichen Nebenwirkungen lesen Sie
hier
.
Mycophenolat-Mofetil
: Dieses Immunsuppressivum hemmt die Entwicklung wichtiger Immunzellen (B- und T-Lymphozyten). Patienten nehmen es täglich ein, etwa als Tablette. Häufige Nebenwirkungen sind u.a. Magen-Darm-Probleme (wie Übelkeit, Erbrechen), vermehrte Infektionen und Blutbildveränderungen. Die Langzeitanwendung erhöht das Krebsrisiko. Während der Behandlung ist zudem eine sichere Verhütung wichtig, weil der Wirkstoff das Erbgut schädigen und Fehlbildungen beim Ungeborenen hervorrufen kann.
Von den genannten Wirkstoffen sind in der Europäischen Union bislang nur Eculizumab, Satralizumab und Inebilizumab zur Behandlung der NMOSD zugelassen, in der Schweiz Eculizumab und Satralizumab. Die nicht zugelassenen Wirkstoffe wenden Ärzte "off-label" bei NMOSD-Patienten an.
Es kann bis zu einigen Monaten dauern, bis die Immuntherapie ihre volle Wirkung zeigt (je nach verwendeten Wirkstoffen). Deshalb erhalten Patienten
in der Anfangsphase zusätzlich Kortison-Tabletten
zur Schub-Vorbeugung. Sie nehmen die Tabletten für drei bis sechs Monate in absteigender Dosierung ein.
Einige Immuntherapeutika, die bei der Multiplen Sklerose gegeben werden (z.B. Beta-Interferone, Glatirameracetat, Natalizumab, Fingolimod), sind für die Behandlung von NMOSD nicht geeignet. Entweder wirken sie hier nicht oder sie lösen vermehrte und auch schwere Schübe aus.
Eine weitere Behandlungsmöglichkeit vor allem für bestimmte Fälle sind Infusionen mit hoch dosierten Antikörpern, sogenannte
intravenöse Immunglobuline (IVIG)
. Ärzte geben sie, wenn zum Beispiel ein schwerer Infekt gegen eine abwehrunterdrückende (immunsuppressive) Behandlung spricht. Betroffene, etwa auch Kindern, erhalten die IVIG dann meist einmal monatlich. Die Immunglobuline sollen dann Immunreaktionen positiv beeinflussen.
Wenn bei einer NMOSD dank Immuntherapie jahrelang keine Schübe mehr auftreten, stellt sich die Frage, ob die Therapie beendet werden kann. Bislang gibt es hierzu aber kaum Erfahrungen. Ärzte empfehlen daher, die Immuntherapie besonders bei einer Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung mit positivem AQP-4-Antikörper-Status dauerhaft fortzuführen - unter Abwägung ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Martina Feichter hat in Innsbruck Biologie mit Wahlfach Pharmazie studiert und sich dabei auch in die Welt der Heilpflanzen vertieft. Von dort war es nicht weit zu anderen medizinischen Themen, die sie bis heute fesseln. Sie ließ sich an der Axel Springer Akademie in Hamburg zur Journalistin ausbilden und arbeitet seit 2007 für NetDoktor (zwischenzeitlich als freie Autorin).
Neuromyelitis optica
Kurzübersicht
Was ist Neuromyelitis optica (NMO)?
Wer erkrankt an NMOSD?
Prognose und Lebenserwartung
Neuromyelitis optica (NMO): Symptome
Meist schubförmiger Verlauf
Neuromyelitis optica: Ursachen
Neuromyelitis optica: Untersuchungen & Diagnose
Bildgebung
Blut- und Liquor-Untersuchungen
Antikörper-Testung
Diagnosekriterien bei NMOSD
NMOSD mit AQP-4-Antikörpern
NMOSD ohne AQP-4-Antikörper oder mit unbekanntem Antikörper-Status
Neuromyelitis optica: Behandlung
Schubtherapie
Langzeittherapie
Dauer der Immuntherapie
Autoren- & Quelleninformationen