Illness name: kallmann syndrom
Description:
Astrid Leitner studierte in Wien Tiermedizin. Nach zehn Jahren in der veterinärmedizinischen Praxis und der Geburt ihrer Tochter wechselte sie – mehr zufällig – zum Medizinjournalismus. Schnell war klar: Das Interesse an medizinischen Themen und die Liebe zum Schreiben ergeben für sie die perfekte Kombination. Astrid Leitner lebt mit Tochter, Hund und Katze in Wien und Oberösterreich.
Das Kallmann-Syndrom ist eine angeborene Erkrankung, bei der kaum oder keine Geschlechtshormone produziert werden. Bei Betroffenen bleibt die Pubertät aus, unbehandelt sind sowohl Männer als auch Frauen unfruchtbar. Zusätzlich ist meist der Geruchssinn gestört: KS-Patienten riechen nur sehr eingeschränkt oder gar nichts. Lesen Sie hier alles Wissenswerte zum „olfaktogenitalen Syndrom“!
Das Kallmann-Syndrom (KS, olfaktogenitales Syndrom, De-Morsier-Kallmann-Syndrom) ist eine angeborene Entwicklungsstörung des Gehirns. Sie bewirkt, dass Betroffene keine Geschlechtshormone produzieren und deswegen die Geschlechtsreife ausbleibt. Zudem leiden die meisten KS-Patienten unter einer
Anosmie
, das heißt, sie nehmen keine Gerüche wahr.
Ursache für die Erkrankung ist eine Genveränderung (Mutation), die sich bereits während der Embryonalentwicklung im Mutterleib auswirkt. In der hormonellen Schaltzentrale des Gehirns (
Hypothalamus
) fehlen bestimmte Zellen, die im späteren Leben für die übergeordnete Steuerung der Geschlechtshormon-Produktion zuständig sind. Außerdem führt die Genveränderung dazu, dass das Riechzentrum im
Gehirn
(Bulbus olfactorius) nicht oder nur unvollständig ausgebildet ist. Betroffene riechen nichts oder nur sehr eingeschränkt.
Die Erkrankung ist nach dem deutschen Psychiater Franz Josef Kallmann benannt, der sie im Jahr 1944 als „
Hypogonadismus
(Mangel an Geschlechtshormonen) und Anosmie (fehlender Geruchssinn)“ beschrieb. Die synonyme Bezeichnung “De-Morsier-Kallmann-Syndrom” bezieht sich zusätzlich auf den schweizer Neurologen Georges de Morsier, der ebenfalls Studien zum Kallmann-Syndrom durchgeführt hat.
Das Kallmann-Syndrom ist eine Unterform des sekundären Hypogonadismus. Darunter versteht man einen Mangel an Geschlechtshormonen, der durch eine Fehlfunktion in der hormonellen Schaltzentrale im Gehirn (
Hypophyse
) ausgelöst wird. Die Keimdrüsen (Eierstöcke, Hoden) funktionieren normal, erhalten aber kaum oder keine Signale zur Produktion von Geschlechtshormonen. Liegt zusätzlich zum Hormonmangel eine Anosmie (fehlender Geruchssinn) vor, sprechen Ärzte vom Kallmann-Syndrom.
Das Kallmann-Syndrom zählt zu den seltenen Erkrankungen, Männer sind häufiger betroffen als Frauen: Im Schnitt erkrankt etwa einer von 10.000 Männern und eine von 50.000 Frauen daran.
Leitsymptome des Kallmann-Syndroms sind ein stark verminderter oder fehlender Geruchssinn und das Ausbleiben der Pubertätsentwicklung. Wie stark die Symptome ausgeprägt sind, variiert von Patient zu Patient. Unbehandelt bleiben beide Geschlechter unfruchtbar.
Ausbleibende Pubertät:
Geschlechtshormone sind wesentlich für das Einsetzen der Pubertät. Sind zu wenige oder keine Geschlechtshormone vorhanden, bleibt die Pubertät und damit die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale aus.
Symptome bei Jungen:
Symptome bei Mädchen:
Bei Mädchen sind die Symptome meist weniger stark ausgeprägt. Oft ist das einzige Symptom das Ausbleiben der ersten Menstruation (primäre
Amenorrhoe
), weswegen die Krankheit oft erst spät erkannt wird. Im Gegensatz zu Jungen ist die körperliche Entwicklung trotz Erkrankung weitgehend normal. So sind etwa die Brüste in der Regel normal entwickelt.
Symptome bei männlichen Erwachsenen:
Bei Männern mit Kallmann-Syndrom sind typischerweise Knochendichte (Osteoporose) und Muskelmasse verringert. Häufig haben sie aufgrund einer femininen Fettverteilung ein weibliches, äußeres Erscheinungsbild. Sie haben Erektionsstörungen und sind unfruchtbar.
Verminderter oder fehlender Geruchssinn:
KS-Patienten nehmen Gerüche nicht (Anosmie) oder nur schwach (Hyposmie) wahr. Dieses Symptom bleibt oft unbemerkt, da Betroffene von
Geburt
an daran gewöhnt sind, nichts zu riechen. Der fehlende Geruchssinn führt in Einzelfällen zu gefährlichen Situationen, etwa, wenn Betroffene Brandgeruch oder den Geruch verdorbener Lebensmittel nicht wahrnehmen.
Fehlbildungen:
Seltener treten bei KS-Patienten weitere körperliche Fehlbildungen auf. Das sind beispielsweise Hörstörungen, Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten oder fehlende Zahnanlagen. Einige Betroffene kommen mit nur einer
Niere
zur Welt. Die geistige Entwicklung ist bei KS in der Regel normal.
Osteoporose:
Geschlechtshormone wie
Testosteron
und Östrogen spielen eine wichtige Rolle bei der Mineralisation der Knochen. Fehlen die Hormone, sind die Knochen nicht so stabil wie bei Gesunden – die Gefahr für Knochenbrüche steigt.
Ursache für das Kallmann-Syndrom ist eine angeborene Genveränderung (Mutation). Meist entsteht sie spontan, in rund 30 Prozent der Fälle wird sie von einem oder beiden Elternteilen an die Nachkommen vererbt.
Die Genveränderung wirkt sich bereits bei der Embryonalentwicklung im Mutterleib aus: Die Zellen für den Geruchssinn und jene, die für die Steuerung der Keimdrüsen (Eierstöcke, Hoden) zuständig sind, entstehen aus gemeinsamen Vorläuferzellen.
Beim Kallmann-Syndrom ist die Entwicklung dieser Vorläuferzellen durch die Genveränderung gestört. Als Folge davon bilden sich die Zellen, die für die übergeordnete Steuerung der Geschlechtshormon-Produktion verantwortlich sind, und die Riechzellen nur unzureichend aus. Betroffene erleben keine Pubertätsentwicklung und nehmen keine Gerüche wahr.
Der Hypothalamus (eine Region im
Zwischenhirn
) ist die hormonelle Schaltzentrale des Körpers. Bei Gesunden setzt der Hypothalamus das Hormon GnRH (Gonadotropin-Releasing-Hormon) frei. Dieses wiederum stimuliert die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) zur Ausschüttung der Hormone LH (luteinisierendes Hormon) und FSH (follikelstimulierendes Hormon).
LH und FSH wirken auf die Keimdrüsen (Eierstöcke, Hoden), die letztlich die Geschlechtshormone produzieren: Bei der Frau fördern die weiblichen Sexualhormone Östrogen und
Progesteron
die Reifung der Eizellen und lösen den Eisprung aus, beim Mann bewirkt das Hormon Testosteron die Bildung von Spermien.
In der Pubertät beginnt die Produktion von Geschlechtshormonen und damit die sexuelle Reifung. Ist wie beim Kallmann-Syndrom kaum oder kein GnRH vorhanden, werden zu wenig oder keine Geschlechtshormone produziert, die Pubertätsentwicklung bleibt aus. Unbehandelt erleben Betroffene keine Geschlechtsreife und bleiben unfruchtbar.
In den meisten Fällen tritt die Genveränderung spontan auf. Wie es dazu kommt, ist nicht geklärt. In etwa 30 Prozent aller Fälle tritt die Erkrankung familiär gehäuft auf: Betroffene haben die Mutation von einem oder beiden Elternteilen geerbt.
Bislang sind mehrere Mutationen beschrieben, die das Kallmann-Syndrom auslösen. Dazu zählen die Mutationen mit den Bezeichnungen KAL1, FGFR1, FGF8, CHD7, SOX10, PROKR2 und PROK2.
Die Diagnose Kallmann-Syndrom wird in vielen Fällen spät gestellt, da die Symptome oftmals erst im Jugendalter auffallen. Das betrifft vor allem Jungen, bei denen das Ausbleiben der Geschlechtsentwicklung meist deutlicher sichtbar ist. Bei Mädchen sind die Symptome oft weniger stark ausgeprägt, sodass erst das Ausbleiben der ersten Regelblutung Anlass zu einem Arztbesuch gibt. Hinzu kommt, dass Betroffene in vielen Fällen keine Erkrankung hinter den Symptomen vermuten, sondern glauben, dass sie „Spätentwickler“ sind.
In manchen Fällen fällt die Erkrankung bereits bei Säuglingen auf: Betroffene Jungen haben unter Umständen einen Hodenhochstand (Kryptorchismus) und/oder einen sehr kleinen Penis (Mikropenis).
Erster Ansprechpartner bei Anzeichen für ein KS-Syndrom ist der Kinderarzt, im Falle von ungewollter Kinderlosigkeit der Gynäkologe oder der Urologe.
Folgende Untersuchungen führt der Arzt durch:
Familienanamnese:
Besteht der Verdacht auf das Kallmann-Syndrom, erkundigt sich der Arzt, ob KS-Fälle in der Familie bekannt sind.
Körperliche Untersuchung:
Unterentwickelte sekundäre Geschlechtsmerkmale wie ein altersentsprechend zu kleiner Penis oder das Ausbleiben der ersten Regelblutung geben dem Arzt erste Hinweise auf das KS-Syndrom. Er achtet außerdem auf die Körpergröße, die Achsel-, Brust- und Schambehaarung und beurteilt das Bartwachstum.
Riechtest:
Dieser Test ist ab einem Alter von etwa fünf Jahren möglich. Dabei überprüft der Arzt mit reinen Riechstoffen wie beispielsweise Vanillin, ob der Patient den Geruch wahrnimmt.
Blutuntersuchung
:
Einen veränderten Hormonspiegel stellt der Arzt durch eine Blutuntersuchung fest. Typischerweise sind die GnRH-, LH- und FSH-Werte vermindert oder auf niedrig-normalem Niveau. Die Spiegel der Geschlechtshormone liegen bei Jungen und Mädchen im Jugendalter auf vorpubertärem Niveau.
Ultraschalluntersuchung der Hoden:
Weichteile wie die Hoden untersucht der Arzt mithilfe von Ultraschall.
Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT):
Mit diesen Untersuchungsverfahren prüft der Arzt, ob das Riechzentrum im Gehirn (Bulbus olfactorius) ausgebildet ist.
Röntgenuntersuchung der
Hand
:
Mithilfe einer Röntgenuntersuchung der Hand stellt der Arzt fest, ob die Wachstumsfugen bereits geschlossen sind und das Körperwachstum damit abgeschlossen ist.
Spermiogramm
:
Dabei untersucht der Arzt, ob im Ejakulat Spermien vorhanden sind.
Gentest:
Der Gentest dient dazu, die genaue Mutation zu bestimmen, die die Krankheit verursacht.
Das Kallmann-Syndrom ist gut behandelbar. Betroffene erhalten eine Ersatzbehandlung mit Geschlechtshormonen. Wird die Erkrankung noch vor der Pubertät erkannt und behandelt, führen Betroffene in der Regel ein weitgehend uneingeschränktes Leben. Das beinhaltet eine reguläre Pubertätsentwicklung und ein normales Sexualleben.
Gabe von Geschlechtshormonen:
Männer erhalten Testosteron, Frauen Östrogene und Progesteron. Die Hormonpräparate sind in Form von Injektionen, Gels oder Pflastern erhältlich. Die Hormontherapie wird in der Regel bei Männern lebenslang, bei Frauen bis zu den Wechseljahren fortgeführt.
In 10 bis 20 Prozent der Fälle bildet sich ein angeborener GnRH-Mangel nach Ende der Hormonersatztherapie zurück. Die Patienten haben im Anschluss an die Therapie unauffällige Hormonwerte und erleben eine normale Geschlechtsreife. Aus diesem Grund empfehlen Ärzte, alle ein bis zwei Jahre eine Therapiepause einzulegen, um die Notwendigkeit zur Fortführung der Therapie zu bestimmen.
Gabe von Geschlechtshormonen bei Kinderwunsch:
Damit Spermien gebildet werden, benötigt der Körper GnRH. Aus diesem Grund erhalten Männer, die ein Kind zeugen möchten, anstelle von Testosteron das Hormon GnRH. Bis die Spermienproduktion in Gang kommt, dauert es 18 bis 24 Monate. In etwa 80 Prozent der Fälle sind Männer im Anschluss fruchtbar. Männer mit Hodenhochstand haben eine etwas ungünstigere Prognose.
Therapie der Osteoporose:
Patienten mit verringerter Knochendichte erhalten
Kalzium
und
Vitamin D
. Zusätzlich sind Sport und Bewegung empfehlenswert, um die Knochen zu stärken.
Anosmie:
Gegenwärtig gibt es keine Therapie, um den Geruchssinn herzustellen.
Psychotherapie
:
Für manche KS-Patienten bedeutet die Erkrankung eine schwere psychische Belastung. Hier ist der Psychotherapeut der richtige Ansprechpartner.
Wie das Kallmann-Syndrom verläuft, ist individuell unterschiedlich. Die Symptome sind von Patient zu Patient verschieden ausgeprägt. So ist es möglich, dass die Krankheit bereits im Säuglingsalter auffällt, im Jugendalter diagnostiziert wird, oder der Hormonmangel erst im Erwachsenenalter in Erscheinung tritt.
Wird die Erkrankung rechtzeitig diagnostiziert, ist die Prognose sehr gut. Mit einer entsprechenden Hormonbehandlung wird bei allen Patienten die sexuelle Reifung erreicht. Die Patienten erleben eine reguläre Pubertätsentwicklung, sind fruchtbar und haben eine normale Lebenserwartung. Fast alle Patienten mit Kinderwunsch werden durch entsprechende Behandlung fruchtbar.
Wird KS erst nach dem 16. Lebensjahr erkannt und therapiert, ist es unter Umständen bereits zu einem Hochwuchs gekommen. Diese Veränderung lässt sich auch mit Medikamenten nicht mehr rückgängig machen.
Da es sich um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt, ist keine Vorbeugung möglich.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Astrid Leitner studierte in Wien Tiermedizin. Nach zehn Jahren in der veterinärmedizinischen Praxis und der Geburt ihrer Tochter wechselte sie – mehr zufällig – zum Medizinjournalismus. Schnell war klar: Das Interesse an medizinischen Themen und die Liebe zum Schreiben ergeben für sie die perfekte Kombination. Astrid Leitner lebt mit Tochter, Hund und Katze in Wien und Oberösterreich.
Kallmann-Syndrom
Kurzübersicht
Was ist das Kallmann-Syndrom?
Sekundärer Hypogonadismus
Häufigkeit
Symptome
Ursache und Risikofaktoren
Geschlechtshormone
Risikofaktoren
Untersuchung und Diagnose
Wie wird das Kallmann-Syndrom behandelt?
Krankheitsverlauf und Prognose
Vorbeugen
Autoren- & Quelleninformationen