Illness name: somatoforme stoerung
Description:
Dr. med. Julia Schwarz ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion.
Als
somatoforme Störung
(psychosomatisches Syndrom) bezeichnet man das wiederholte Auftreten verschiedener körperlicher (somatischer) Beschwerden, für die sich keine organische Ursache finden lässt. Seelische Belastung, emotionaler Stress und Konflikte spielen dafür eine Rolle. Die Erkrankung wird psychotherapeutisch behandelt. Lesen Sie mehr über Symptome und Behandlung.
Eine somatoforme Störung liegt vor, wenn jemand wiederholt verschiedene körperliche Symptome hat, die trotz mehrfach durchgeführter Untersuchungen mit negativen Testergebnissen bestehen bleiben. Die körperlichen Beschwerden sind dabei sehr unterschiedlich und betreffen eventuell jedes Körperteil oder Organ.
Die Patienten sind häufig von einer körperlichen Erkrankung fest überzeugt und fordern stets weitere Untersuchungen und medizinische Maßnahmen ein. Die Möglichkeit einer psychischen Ursache wird vom Patienten oft nicht akzeptiert, was zu häufigen Arztwechseln führt. In diesem Zusammenhang werden auch Begriffe wie "Ärztehopping" oder "Patientenkarriere" benutzt, die dem Krankheitsdruck des Patienten aber nicht gerecht werden.
Oftmals geht die somatoforme Störung mit einer weiteren psychiatrischen Erkrankung wie beispielsweise
Angst
oder
Depression
einher.
Es gibt verschiedene somatoforme Störungen. Das Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation WHO (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) ICD-10 zählt unter dem Code F45.- unter anderem folgende Ausprägungen darunter:
Diese somatoforme Störung kommt bei Männern und Frauen gleich häufig vor. Die Betroffenen sind objektiv körperlich gesund, aber fest davon überzeugt, an einer schweren Krankheit zu leiden, und beschäftigen sich intensiv mit ihren Beschwerden.
Das Hauptmerkmal der hypochondrischen Störung ist nicht die körperliche Beschwerdesymptomatik, sondern die überdurchschnittlich ausgeprägte gedankliche Beschäftigung damit. Diese anhaltende Angst und das Beschäftigen mit dem eigenen Leiden beeinträchtigen das soziale und berufliche Leben der Betroffenen. Die Dauer dieser somatoformen Störung beträgt mindestens sechs Monate.
Frauen sind davon häufiger betroffen als Männer. Kennzeichnend für diese somatoforme Störung sind unterschiedliche, über mindestens zwei Jahre bestehende Beschwerden ohne ausreichende körperliche Erklärung. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Beschwerden aus mindestens zwei Symptomgruppen wie zum Beispiel häufig anhaltende
Müdigkeit
, Appetitverlust, Herz-, Magen-Darm- oder Blasenbeschwerden.
Formen von Somatisierungsstörung sind:
Diese somatoforme Störung zeichnet sich dadurch aus, dass über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten chronische, starke Schmerzen ohne ausreichende körperliche Erklärung bestehen. Schmerzort und -charakter wechseln dabei häufig und ohne regelmäßiges Muster. Der Alltag der Erkrankten wird komplett von den Schmerzen beherrscht.
Die Betroffenen verneinen aber, dass für die Beschwerden auch seelische Ursachen infrage kommen – die Diagnose "somatoforme Störung" wollen sie oft nicht wahrhaben. Männer und Frauen sind gleich oft betroffen, wobei es eine familiäre Häufung in Bezug auf diese somatoforme Störung gibt.
Eine Unterform ist allerdings die "
chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren
", bei der es zwar einen tatsächlichen organisch-physiologischen Grund für anhaltende Schmerzen gibt. Allerdings beeinflussen psychische Faktoren, dass die Intensität und Aufrechterhaltung des Schmerzes stärker oder länger ist als es aus rein körperlicher Ursache angemessen wäre.
Das Hauptmerkmal einer somatoformen Störung sind körperliche Symptome, die der Patient zwar nicht willentlich kontrolliert oder vortäuscht, für die es aber auch keine körperliche Erklärung gibt. Die Beschwerden sind dabei grundsätzlich in allen Organsystemen möglich. Am häufigsten geht eine somatoforme Störung mit folgenden Symptomen einher:
Wann welches Organ oder Organsystem durch die somatoforme Störung betroffen ist, ist bei jedem Patienten unterschiedlich. Hierbei spielen der kulturelle Hintergrund, frühere Erkrankungen und die Identifikation mit Krankheitssymptomen bei Mitmenschen eine Rolle.
Ein vorübergehend hohes Anspannungsniveau in Stressphasen des Lebens lindert häufig die somatoforme Störung beziehungsweise ihre Symptome. Eine darauffolgende Entspannung lässt dann aber die Störung oftmals wieder umso stärker hervortreten.
Es gibt keine einheitliche Therapie für die verschiedenen Formen von somatoformer Störung. Die Therapie wird vielmehr individuell an jeden Patienten angepasst. Falls mit der somatoformen Störung zusätzlich psychiatrische oder körperliche Erkrankungen assoziiert sind, müssen diese ebenfalls behandelt werden. Die Linderung solcher Begleiterkrankungen bessert in vielen Fällen auch die somatoforme Störung.
Wichtig für die Behandlung ist zudem ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient – Menschen mit somatoformen Störungen haben nämlich oft das Vertrauen in Ärzte verloren.
Je nach Ausprägung ist es möglich, dass somatoforme Störungen zu Arbeitsunfähigkeit führen. In einigen Fällen gehen die somatoformen Störungen ohne Behandlung von alleine wieder weg. In anderen Fällen ist eine Therapie ratsam, zu der unter Umständen die Behandlung mit Medikamenten gehört.
Als Fundament für eine erfolgreiche Behandlung von somatoformen Störungen gilt die
Psychoedukation
: Der Therapeut oder Arzt erklärt dem Patienten die psychischen Prozesse, welche eventuell die somatoforme Störung verursachen. Nur mit diesem Verständnis auf Seiten des Patienten wird die therapeutische Arbeit Früchte tragen.
Wichtig ist auch, zu verhindern, dass der Patient sich selber als chronisch krank wahrnimmt und dass die somatoforme Störung sein Leben beherrscht. Es ist empfehlenswert, dass der psychosoziale Stress dauerhaft verringert wird. Entspannungsverfahren wie progressive Muskelentspannung nach Jacobson zeigen oftmals einen positiven, unterstützenden Effekt, da die somatoforme Störung häufig mit Stress und Überforderung einhergeht.
Bisher gibt es keine einheitliche medikamentöse Therapie für diese somatoforme Störung. Therapie-Pläne variieren individuell je nach Ausprägung der Symptome. Bei Auftreten von psychischen Begleiterkrankungen wendet der Therapeut oft angstlösende Medikamente und Antidepressiva an.
Zudem ist eine frühzeitige Psychotherapie ratsam, um einer Chronifizierung des Krankheitsbilds entgegenzuwirken. Hierbei versucht der Therapeut, dem Patienten das Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, dass er nicht an einer ernsthaften Krankheit leidet, aber dennoch in Bezug auf die somatoforme Störung ernst genommen wird.
Außerdem gilt es, die Einstellung des Patienten gegenüber seiner Körperwahrnehmung zu verändern. Ziel ist es, die Probleme und Belastungsfaktoren des Patienten zu identifizieren, um an ihnen zu arbeiten und die somatoforme Störung zu bewältigen.
Für die Somatisierungsstörung ist ebenfalls keine einheitliche medikamentöse Therapie bekannt, Antidepressiva werden oft mit Erfolg angewendet. Die Leitlinien für diese somatoforme Störung geben vor, dass körperliche Begleiterkrankungen immer mitbehandelt werden müssen, da deren Linderung oft zu einer Verbesserung der Somatisierungsstörung führt.
Eine psychotherapeutische Behandlung wird ebenfalls empfohlen, damit der Patient es schafft, sich von den vermeintlichen Symptomen zu distanzieren und einen gewissen Abstand zum Leiden zu bekommen. Das hilft ihm, den Alltag wieder besser zu bewältigen, und erleichtert ihm den Umgang mit den eigenen Problemen.
Auch Entspannungsverfahren sind hilfreich, um die Somatisierungsstörung dauerhaft zu überwinden.
Medikamentös behandelt man die somatoforme Schmerzstörung unter anderem mit schmerzstillenden Medikamenten oder Antidepressiva.
Im Rahmen der Psychotherapie bieten sich sogenannte
multimodale Therapieprogramme
an. Diese führt man ambulant durch. Dabei wird der Patient zum Experten seiner eigenen Schmerzen: Der Therapeut vermittelt ihm Basiswissen über die Entstehung von Schmerzen, die Verarbeitung von Schmerzreizen und die auslösenden Bedingungen.
Der Patient wird aufgefordert, sich und seine somatoforme Störung aufmerksam zu beobachten und ein Schmerztagebuch zu führen sowie eine Schmerzskala zu erstellen. Sie hilft, den Verlauf und die auslösenden Faktoren besser einzuschätzen.
Die Ziele der multimodalen Therapie sind, die Schmerzwahrnehmung des Patienten zu verändern, das gesunde Verhalten des Patienten zu fördern und die somatoforme Störung zu heilen.
Die Ursachen für eine somatoforme Störung sind komplex, Experten vermuten hier ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Dabei gibt es verschiedene Erklärungsansätze für die Entstehung einer somatoformen Störung:
Das
psychoanalytische Modell
geht davon aus, dass innere psychische Konflikte auf der "Bühne des Körpers" ausgetragen werden und sich somit nach außen in Form von körperlichen Beschwerden und organischem Leiden äußern. Häufig zeigt sich die somatoforme Störung in Form einer generalisierten Angst, die sich vom Patienten keiner bestimmten Ursache zuordnen lässt. Die innere Anspannung wird durch die Behandlung der äußeren Beschwerden umgelagert und als Entlastung erlebt.
Der
lerntheoretische Erklärungsansatz
setzt ein erlerntes, immer wieder auftretendes und sich dadurch verstärkendes Verhaltensmuster für die somatoforme Störung voraus. Es entsteht ein Teufelskreis, der vom Patienten nur schwer aus eigener Kraft zu durchbrechen ist.
Wenn der Patient beispielsweise Angst hat, dass sein
Herz
unregelmäßig schlägt, beginnt er, den Pulsschlag zu tasten und richtet seine Aufmerksamkeit gezielt auf die körperlichen Symptome. Die Atmung und der Pulsschlag verändern sich daraufhin unter Umständen tatsächlich, wodurch der Patient sich wiederum in seiner Angst bestätigt fühlt – die somatoforme Störung verfestigt sich.
Auch verschiedene
neurobiologische Modelle
werden aktuell diskutiert. Da manche somatoforme Störung oft auch Verwandte ersten Grades betrifft, ist eine gewisse Vererbbarkeit nicht auszuschließen. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass bei Patienten mit einer somatoformen Störung das Immunsystem und das Nervensystem sowie deren
Hormone
in Stresssituationen stärker reagieren als bei Gesunden. Das ließ sich bislang aber nicht eindeutig nachweisen.
Als Risikofaktoren für eine somatoforme Störung gelten emotionale Stresssituationen, unbewusste Konflikte und seelisch belastende Prozesse.
Bestimmte Persönlichkeitstypen sind außerdem anfälliger für eine somatoforme Störung als andere: Die ängstlich-selbstunsichere Persönlichkeitsstruktur leidet oft unter einem Gefühl der Hilflosigkeit und der Wertlosigkeit. Durch sein offenkundiges Leiden erfährt der Betroffene einen
sekundären Krankheitsgewinn
. Er erhält dadurch die Aufmerksamkeit der Mitmenschen, und es wird ein Rahmen geschaffen, in dem der Patient sich Schwäche zugestehen darf.
Persönlichkeiten, die Schwierigkeiten haben, ihren Emotionen Ausdruck zu verleihen, sind anfälliger für eine somatoforme Störung. Ein weiterer Risikofaktor ist eine dauerhafte Mehrbelastung im täglichen Leben beziehungsweise das Gefühl der Überforderung.
Es ist nicht immer leicht, eine somatoforme Störung von körperlichen Erkrankungen abzugrenzen. Deshalb sind sorgfältige Untersuchungen zum Ausschluss körperlicher Ursachen der Symptome notwendig (etwa Blutuntersuchungen,
EKG
,
Röntgen
), bevor der Arzt von einer somatoformen Störung als Arbeitsdiagnose ausgeht.
Allerdings ist eine somatoforme Störung nicht eine reine Ausschlussdiagnose. Entscheidend für die Diagnose ist zudem das Auftreten vieler verschiedener körperlicher Symptome, die sich meistens nicht nur auf ein Organsystem beschränken und für die es keine medizinische Erklärung gibt. Die somatoforme Störung lässt sich außerdem durch das Vorliegen der Symptome über einen längeren Zeitraum identifizieren.
Eine psychologische Diagnostik unter anderem mit
standardisierten Fragebögen
sichert oft die Diagnose.
Bleibt die somatoforme Störung unbehandelt, sind durch wiederholte Arztbesuche und Arztwechsel übermäßige diagnostische Maßnahmen möglich — beispielsweise zu häufige Röntgenuntersuchungen. Das schadet dem Patienten eher, als dass es ihm nützt.
Bei unklarer Diagnose sind Zufallsbefunde möglich, die unter Umständen überbewertet und eventuell übertherapiert werden.
Wird aber rechtzeitig eine Psychotherapie begonnen, ist die Prognose bei einer somatoformen Störung gut.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Dr. med. Julia Schwarz ist freie Autorin in der NetDoktor-Medizinredaktion.
Somatoforme Störung
Kurzübersicht
Was ist eine somatoforme Störung?
Ausprägungen
Hypochondrische Störung
Somatisierungsstörung
Anhaltende somatoforme Schmerzstörung
Welche Symptome treten auf?
Wie kann eine somatoforme Störung behandelt werden?
Therapie-Voraussetzungen
Hypochondrische Störung – Therapie
Somatisierungsstörung – Therapie
Somatoforme Schmerzstörung – Therapie
Ursachen und Risikofaktoren
Risikofaktoren für somatoforme Störungen
Untersuchungen und Diagnose
Krankheitsverlauf und Prognose
Autoren- & Quelleninformationen