Illness name: reye syndrom

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Reye-Syndrom

Von Dr. med. Fabian Dupont
Dr. med. Fabian Dupont

Fabian Dupont ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Der Humanmediziner ist bereits für wissenschaftliche Arbeiten unter anderem Belgien, Spanien, Ruanda, die USA, Großbritannien, Südafrika, Neuseeland und die Schweiz. Schwerpunkt seiner Doktorarbeit war die Tropen-Neurologie, sein besonderes Interesse gilt aber der internationalen Gesundheitswissenschaft (Public Health) und der verständlichen Vermittlung medizinischer Sachverhalte.

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Das Reye-Syndrom ist eine schwere zelluläre Funktionsstörung bei Kindern und Jugendlichen. Sie betrifft besonders das Gehirn und die Leber. Die genauen Ursachen sind noch nicht geklärt. Das Reye-Syndrom wird aber besonders mit Grippe-, Herpes- und Windpocken-Viren in Verbindung gebracht. Arzneistoffe wie Acetylsalicylsäure tragen möglicherweise dazu bei, das Reye-Syndrom nach einem Virus-Infekt auszulösen.

ICD-Codes für diese Krankheit: ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen. G93

Kurzübersicht

  • Symptome: Erbrechen und Übelkeit, Verwirrtheit, Ruhelosigkeit, Gereiztheit, Schlappheit; Krampfanfälle bis hin zum Koma
  • Ursachen: Unklar, wahrscheinlich spielen Virusinfektionen eine Rolle
  • Risikofaktoren: Arzneistoffe wie Acetylsalicylsäure begünstigen vermutlich die Entstehung
  • Diagnose: Krankengeschichte, typische Symptome, körperliche Untersuchung, veränderte Laborwerte
  • Behandlung: Lindern der Symptome, Überleben des Kindes sichern, v.a. Behandlung des Hirnödems, Unterstützung der Leberfunktion
  • Verlauf und Prognose: Häufig schwerer Verlauf, oft bleiben neurologische Schäden zurück; etwa 50 Prozent der Betroffenen versterben
  • Vorbeugen: Acetylsalicylsäure bei Kindern unter 15 Jahren nicht oder nur mit besonderer Vorsicht einsetzen
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Was ist das Reye-Syndrom?

Das Reye-Syndrom ist eine seltene, schwere und potenziell lebensbedrohliche Erkrankung von Gehirn und Leber ("hepatische Enzephalopathie"). Sie betrifft meistens Kinder ab fünf Jahren und Jugendliche etwa bis zum 15. Lebensjahr. Es tritt besonders häufig nach einem Virus-Infekt und der Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) auf. Der genaue Zusammenhang ist bislang unklar.

Beobachtet wurde das Reye-Syndrom beispielsweise nach einer Infektion mit Erkältungs- und Grippe-Viren oder Windpockenviren. Auch Viren , die Magen-Darm-Infekte mit Durchfall oder Erbrechen auslösen, stehen möglicherweise in einem Zusammenhang mit dem Reye-Syndrom. Die Liste der potenziell beteiligten Viren ist eventuell noch wesentlich länger. Auch einige krankheitserregende Bakterien stehen im Verdacht, das Reye-Syndrom auszulösen.

Entdeckt wurde das Reye-Syndrom in den 70er Jahren in Australien. Kurz darauf brachten Mediziner in Amerika viele Fälle von schweren Leber- und Hirnerkrankungen mit dem Reye-Syndrom in Verbindung. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis erste Vermutungen über einen Zusammenhang mit Virus- Erkrankungen und dem Schmerz- und Fiebermittel Acetylsalicylsäure aufkamen.

Die Folge war eine breite Aufklärung durch die Medien, dass Acetylsalicylsäure Kindern nicht verabreicht werden darf. Obwohl das Reye-Syndrom seitdem tatsächlich weitaus seltener vorkommt, hat sich der Zusammenhang zwischen Virus, ASS und dem Reye-Syndrom nie eindeutig aufklären lassen.

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Symptome

Das Reye-Syndrom tritt bei Kindern oft auf, wenn Eltern eigentlich schon denken, der virale Infekt sei überwunden. Zum Teil vergehen nach der Genesung bis zu drei Wochen, bevor sich die Symptome des Reye-Syndroms zeigen. Es kommt zunächst zu vermehrtem Erbrechen ohne Übelkeit. Betroffene Kinder wirken lethargisch und sind schlapp und schläfrig.

Im weiteren Verlauf reagieren die Kinder oft kaum noch auf Ansprache und andere Umweltreize ( Stupor ). Sie sind desorientiert und wirken unter Umständen gereizt, ruhelos und verwirrt. Puls und Atemfrequenz sind häufig erhöht. Manche Kinder mit Reye-Syndrom erleiden einen Krampfanfall oder fallen ins Koma, bei einigen setzt die Atmung aus.

Der Grund für diese Symptome ist, dass sich beim Reye-Syndrom der Hirndruck erhöht, weil sich Flüssigkeit im Gehirn ansammelt (Ödem-Bildung). Der erhöhte Druck beeinträchtigt wichtige Nervenzentren und Nervenbahnen im Gehirn.

Außerdem kommt es beim Reye-Syndrom zu einer Schädigung und Verfettung der Leber. Ihre Funktion ist stark eingeschränkt, was zu einer Vielzahl an Stoffwechselstörungen mit unterschiedlichen Symptomen führt. So gelangt neben dem Nervengift Ammoniak vermehrt Bilirubin ins Blut , was unter Umständen zu einer gelben Hautfarbe führt.

Generell wirkt das Kind schwer krank und muss dringend intensivmedizinisch betreut werden.

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Ursachen und Risikofaktoren

Die genauen Ursachen für das Reye-Syndrom sind nicht bekannt. Experten wissen allerdings, dass es beim Reye-Syndrom zu einer Schädigung der Mitochondrien kommt. Mitochondrien werden häufig als die Kraftwerke der Zellen bezeichnet, weil sie für die Energiegewinnung unverzichtbar sind. Die Fehlfunktion der Mitochondrien beim Reye-Syndrom zeigt sich besonders in den Zellen von Leber und Gehirn, aber auch zum Beispiel in den Muskeln.

Durch die Fehlfunktion der Mitochondrien in der Leber gelangen mehr Abfallstoffe ins Blut, die die Leber normalerweise abbaut, darunter vor allem Ammoniak. Experten vermuten, dass der erhöhte Ammoniakspiegel mit der Entstehung des Hirnödems in Verbindung steht.

Salicylate wie ASS greifen in den Stoffwechsel der Mitochondrien ein und machen sie dadurch anfälliger für weitere Schäden. Manche Fachleute erklären so den Zusammenhang zwischen ASS und dem Reye-Syndrom. Dieser von der Fachwelt so hingenommene Zusammenhang ließ sich wissenschaftlich aber nie eindeutig nachweisen. Das Gleiche gilt für die Annahme, dass bestimmte Viren der Auslöser für das Reye-Syndrom sind.

Neben den Virusinfektionen, den Salizylaten und dem Alter gibt es möglicherweise ein genetisches Risiko für die Erkrankung. Manche Menschen sind offenbar anfälliger für das Reye-Syndrom als andere. Die genauen genetischen Ursachen sind hier allerdings noch unklar.

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Untersuchungen und Diagnose

Der Arzt erhebt zunächst die Krankengeschichte ( Anamnese ). Dazu fragt er die Eltern des Kindes beispielsweise, ob dieses vor kurzem einen Virus-Infekt hatte und/oder Salicylate eingenommen hat. Wichtig ist auch die Beschreibung der Beschwerden wie Erbrechen, eventuelle Krampfanfälle sowie zunehmende Verwirrtheit und Ruhelosigkeit. Sie sind mögliche Anzeichen für eine Gehirn-Beteiligung.

Je nach Ausmaß der Erkrankung ist die Leber beim Reye-Syndrom vergrößert, was der Arzt beim Abtasten des Bauches feststellt. Außerdem liefert eine Blutuntersuchung Hinweise auf eine Beteiligung der Leber.

Blutuntersuchung

Bei einer Leberschädigung gelangen vermehrt Leberenzyme (Transaminasen) sowie Abfallprodukte wie Ammoniak ins Blut, welche die Leber eigentlich aus dem Blut filtert und abbaut. Es kommt dadurch beim Reye-Syndrom zu einem Anstieg der Leberwerte und des Ammoniakspiegels.

Da die Leber auch für den Blutzuckerspiegel verantwortlich ist, gibt ein einfacher Blutzuckertest eine schnelle Auskunft über die Leberfunktion – beim Reye-Syndrom liegt unter Umständen eine Unterzuckerung (Hypoglykämie) vor.

Die Leber ist außerdem an der Blutgerinnung beteiligt. Beim Reye-Syndrom ist daher unter Umständen die Blutgerinnungszeit verlängert. Feststellen lässt sich dies anhand des Quick-Werts oder der INR (international normalized ratio), die der Arzt mithilfe einer Blutprobe ermittelt.

Gewebeprobe

Zur Absicherung der Diagnose entnimmt der Arzt beim Verdacht auf das Reye-Syndrom eventuell eine Gewebeprobe ( Biopsie ) der Leber und untersucht sie auf eine entsprechende Zellschädigung. Hier fällt besonders der Mitochondrienschaden auf. Zusätzlich finden sich beim Reye-Syndrom vermehrte Fettansammlungen in den Zellen. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Leber nicht mehr in der Lage ist, das Fett angemessen zu verarbeiten.

Sonstige Untersuchungen

Auskunft über den Zustand der Leber gibt auch eine Ultraschall-Untersuchung. Vermutet der Arzt einen erhöhten Hirndruck, überprüft er dies durch eine Computertomografie (CT).

Das Reye-Syndrom lässt sich nicht leicht gegen andere Krankheitsbilder abgrenzen, die mit ähnlichen Symptomen einhergehen. Darunter sind auch Krankheiten, die viel häufiger vorkommen als das seltene Reye-Syndrom. Aus diesem Grund macht der Arzt häufig einige weitere diagnostische Tests, um zum Beispiel eine Hirnhautentzündung, eine Blutvergiftung oder eine schwere Darmerkrankung auszuschließen.

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Behandlung

Das Reye-Syndrom lässt sich nicht ursächlich behandeln. Ziel der Behandlung ist es deshalb, die Symptome zu lindern und das Überleben des betroffenen Kindes zu sichern. Dazu ist eine intensivmedizinische Behandlung notwendig.

Im Fokus stehen besonders die Hirnschwellung (Hirnödem) und das Leberversagen . Mithilfe von Medikamenten und weiteren Maßnahmen (wie Hochlagerung des Oberkörpers) versucht er, den Druck im Gehirn zu senken. Bei starker Leberschädigung ist es notwendig, das Organ bei seinen Aufgaben zu unterstützen. So lässt sich ein zu hoher Ammoniakspiegel im Blut (Hyperammonämie) medikamentös oder mittels Dialyse behandeln. In schweren Fällen von Leberschädigung ist möglicherweise eine Lebertransplantation erforderlich.

Die Arbeit aller Körperorgane hängt zusammen. Besonders die Niere und die Leber bilden ein gut eingespieltes Team. Bei einer plötzlichen Leberschädigung droht daher ein Nierenversagen (hepatorenales Syndrom). Mithilfe von Medikamenten erhält das Ärzteteam die Urinausscheidung über die Niere aufrecht.

Auch die Herz- und Lungenfunktion werden genau überwacht, denn aufgrund der Hirnschädigung sind manchmal Maßnahmen wie eine künstliche Beatmung notwendig.

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Krankheitsverlauf und Prognose

Das Reye-Syndrom kommt sehr selten vor, nimmt aber meist einen schnellen und schweren Verlauf. Ungefähr 50 Prozent der betroffenen Kinder versterben. Viele Überlebende tragen bleibende Schäden davon. So bleibt nach einem überstandenen Reye-Syndrom häufig eine Hirnschädigung zurück, die sich zum Beispiel durch Lähmungen oder Sprachstörungen äußert.

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Vorbeugen

Da die Ursachen nicht abschließend geklärt sind, lässt sich dem Reye-Syndrom nicht vorbeugen. Allerdings ist es wichtig, bei Kindern unter 15 Jahren nach Möglichkeit auf Acetylsalicylsäure zu verzichten oder diese nur mit besonderer Vorsicht anzuwenden.

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Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Vorlage:
Dr. med. Carolina Töpfer
Autor:
Dr. med. Fabian Dupont

Fabian Dupont ist freier Autor in der NetDoktor-Medizinredaktion. Der Humanmediziner ist bereits für wissenschaftliche Arbeiten unter anderem Belgien, Spanien, Ruanda, die USA, Großbritannien, Südafrika, Neuseeland und die Schweiz. Schwerpunkt seiner Doktorarbeit war die Tropen-Neurologie, sein besonderes Interesse gilt aber der internationalen Gesundheitswissenschaft (Public Health) und der verständlichen Vermittlung medizinischer Sachverhalte.

Mehr über die NetDoktor-Experten
ICD-Codes:
G93
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Baenkler, H.-W. et al.: Kurzlehrbuch Innere Medizin. Georg Thieme Verlag, 4. Auflage 2021
  • Bieber, C. et al.: Duale Reihe Innere Medizin. Georg Thieme Verlag, 4. Auflage 2018
  • Chapman, J., Arnold, J.K.: Reye Syndrome. StatPearls (Internet), unter: ncbi.nlm.nih.gov. Stand: Juli 2021 (Abrufdatum: 19.01.2021)
  • Glasgow, J.F.T. et al.: The mechanism of inhibition of β-oxidation by aspirin metabolites in skin fibroblasts from Reye’s syndrome patients and controls, in: Biochim Biophys Acta 1999, 1454(1): 115-25
  • Gortner, L. et al.: Duale Reihe Pädiatrie. Georg Thieme Verlag, 5. Auflage 2018
  • Gosalakkal, J.A. et al.: Reye Syndrome and Reye-Like Syndrome, in: Pediatric Neurology 2008, 39(3): 198-200
  • Herold, G. et al.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2022
  • Orphanet Rare Diseases: Reye Syndrome, unter: www.orpha.net (Abrufdatum: 19.01.2022)
  • Pieper, W.: Innere Medizin. Springer Verlag, 2. Auflage 2013
  • Schrör, K.: Aspirin and Reye syndrome: a review of the evidence, in: Paediatr Drugs 2007; 9(3): 195-204
  • Speer, C.P. et al.: Pädiatrie. Springer Verlag, 5. Auflage 2018