Illness name: autismus
Description:
Hanna Rutkowski ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.
Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.
Autismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene tiefgreifende Entwicklungsstörungen (Autismus-Spektrum-Störungen, ASS). Die meisten Betroffenen haben Probleme mit sozialen Kontakten sowie mit der Kommunikation und Sprache. Viele zeigen wiederholte, stereotype Verhaltensweisen und Interessen. Die Art, Ausprägung und der Schweregrad der Autismus-Symptome sind aber individuell sehr verschieden. Wie Autismus entsteht, sich äußert und welche Unterstützung für Betroffene sinnvoll sein kann, erfahren Sie hier.
Autismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene tiefgreifende Entwicklungsstörungen - die genaue Bezeichnung lautet Autismus-Spektrum-Störungen (ASS). Darunter fallen drei verschiedene Hauptformen von Autismus:
Das Erscheinungsbild bei Autismus ist je nach Form und Schweregrad der Störung individuell sehr unterschiedlich. Manche Betroffene entwickeln nur einen leichten Autismus, der ihr Alltagsleben nur wenig beeinflusst. Andere sind schwer behindert.
Unter anderem sind Intelligenz und Sprachfähigkeiten sehr unterschiedlich ausgeprägt: Der größere Teil der Autisten ist geistig eingeschränkt. Es gibt aber auch normal und sogar hochbegabte Betroffene. Teilweise gehen die verschiedenen Autismusformen auch fließend ineinander über.
Mein Baby sucht keinen Blickkontakt – muss ich mir Sorgen machen?
Generell kann das ein erster Hinweis auf eine Autismus-Spektrum-Störung sein. Es gibt jedoch auch mögliche andere Gründe: Hör- und Sehschwierigkeiten, psychiatrische, neurologische oder motorische Erkrankungen oder auch andere seelische Störungen. Sprechen Sie Ihren Kinderarzt darauf an. Er begleitet die Babys von klein auf und kann beurteilen, ob eine erweiterte kinder- und jugendpsychiatrische oder neuropädiatrische Untersuchung erforderlich ist.
Warum sind Routinen für Autisten so wichtig?
Routinen und Rituale sind oft entspannend für Autisten. Sie geben Sicherheit und Geborgenheit. Hinter Routinen oder „Marotten“ können aber auch Zwangserkrankungen stecken. Das sollte man ärztlich klären lassen. Nicht jedes Bedürfnis, z.B. Spielautos in eine lange Reihe zu stellen oder auf bestimmte Abläufe beim Anziehen zu bestehen, sind ein expliziter Hinweis für Autismus oder andere Störungen. Das kann auch ganz normales, kindliches Verhalten sein.
Haben Sie als Experte noch Tipps im Umgang mit Autisten?
Man sollte sich vor Augen halten, dass die Vorstellung, wann Menschen glücklich sind, auf Autisten nicht 1:1 übertragbar ist. Kein Bedürfnis nach Freundschaften, eine Abneigung zum Small-Talk, ein ausgeprägtes Ruhebedürfnis und eine schnellere Erschöpfbarkeit sollten Sie respektieren. Das Leben mit Autisten ist aber auch oft eine große Bereicherung. Sie haben großartige Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Regelstringenz, Gerechtigkeitsliebe und einen tollen, trockenen Humor.
Dr. Bachmann beschäftigt sich in ihrer eigenen Praxis in Hamburg vor allem mit ADHS, Hochbegabten, Autismus und Analytischer Paar- und Familientherapie.
Laut offiziellen Leitlinien wird, unter Berücksichtigung des Großteils aller weltweiten Studien seit dem Jahr 2000, insgesamt von einer Häufigkeit der ASS von etwa einem Prozent in der Bevölkerung ausgegangen.
Die meisten autistischen Menschen zeigen folgende drei Hauptmerkmale:
Achtung:
Art und Schweregrad der Symptome sind individuell und je nach Autismus-Form sehr unterschiedlich. So sind etwa beim Asperger-Syndrom die Symptome im Allgemeinen schwächer ausgeprägt als beim Frühkindlichen Autismus. Bei letzterer Form gibt es unter den Betroffenen ebenfalls große Unterschiede - die Palette reicht von nur leichter Beeinträchtigung bis hin zu schwer ausgeprägten Störungen.
Vielen Autisten fällt es schwer, Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufzubauen. Das fällt oft schon im Säuglingsalter auf. So können viele autistische Kinder keine enge Bindung zu den Eltern aufbauen und nicht auf Reize aus der Umgebung reagieren.
Beispielsweise suchen Babys normalerweise den Blick der Mutter und körperlichen Kontakt, um Nähe aufzubauen. Autistische Babys hingegen weichen meist einem Blickkontakt aktiv aus. Viele ahmen auch das Lächeln ihres Gegenübers nicht nach. Das lässt sie oft teilnahmslos oder starr erscheinen. Manche Eltern vermuten anfangs sogar, ihr Kind sei taub oder blind, weil es kaum Reaktionen auf die Umwelt zeigt.
Auch im späteren Kindesalter sowie im Jugend- und Erwachsenenalter haben Autisten oftmals Probleme, Blickkontakt aufzubauen und zu halten.
Bei einer ausgeprägten autistischen Störung können Betroffene zudem kaum freundschaftliche Beziehungen eingehen. So spielen betroffene Kinder am liebsten allein. Ihre Mitmenschen nehmen sie oft nur wahr, wenn diese ihre Bedürfnisse erfüllen sollen (z. B. bei Hunger).
Menschen mit Autismus tun sich oft schwer, die Gefühle anderer Menschen nachzuvollziehen und sich in andere hineinzuversetzen. Auch ihre eigenen Gefühle können sie oft nur schlecht oder gar nicht ausdrücken. So zeigen sie häufig kaum spontane Gefühlsregungen wie Freude oder Interesse an anderen Personen und an verschiedenen Tätigkeiten. Außerdem können Autisten ihre Reaktion oftmals nicht der allgemeinen Stimmungslage anpassen. So kann es etwa passieren, dass sie scheinbar grundlos einen Lachanfall bekommen.
Die Sprache von Autisten ist ebenfalls häufig gestört. So können viele Kinder mit frühkindlichem Autismus keine normale Sprache erlernen. Sprechen sie doch, wiederholen sie oft gleiche Sätze. Auch die Sprachmelodie fehlt. Dadurch entsteht manchmal ein roboterhafter Eindruck.
Bei Patienten mit Asperger-Syndrom hingegen ist die Sprache oft sehr hoch entwickelt. Sie wirkt aber manchmal seltsam monoton und gestelzt.
Auch für die Sprache haben Experten wichtige allgemeine Autismus-Symptome definiert:
Das dritte große Hauptsymptom bei Autismus ist das oft stereotype Verhalten. So führen viele Betroffene beharrlich bestimmte Handlungen, Rituale und Gewohnheiten aus. Werden sie dabei unterbrochen oder daran gehindert, reagieren Sie teilweise mit Schreianfällen und Panikattacken.
Oft können sich Autisten auch nicht von ihren Lieblingsdingen trennen und nehmen sie überall hin mit.
Außerdem konzentriert sich bei vielen Autisten scheinbar das ganze Interesse auf bestimmte spezielle Details oder Dinge, die sie voll und ganz in Beschlag nehmen.
Zusammengefasst sind bei diesem Symptomkomplex folgende Auffälligkeiten charakteristisch für Autisten:
Viele Autisten weisen zusätzlich das
Savant-Syndrom
auf. Das heißt: Sie verfügen über eine spezielle Inselbegabung. Manche sind zum Beispiel wahre Rechengenies, andere haben ein fotografisches
Gedächtnis
oder erlernen Sprachen in Rekordzeit. Sie widmen sich ihrer besonderen Begabung mit großer Ausdauer, haben aber oft kaum andere Interessen.
Manche Savants weisen in Bereichen außerhalb ihres Spezialgebiets eine verminderte Intelligenz auf. Es gibt jedoch auch sowohl insgesamt normal intelligente als auch hochbegabte Savants.
Bei der Entwicklung von Autismus spielen verschiedene Faktoren eine Rolle.
Experten gehen davon aus, dass autistische Störungen vor allem durch Veränderungen im Erbgut bedingt sind. Zwillings- und Geschwisterstudien stützen diese Theorie.
Bei eineiigen Zwillingen waren in 90 Prozent der untersuchten Fälle beide Kinder autistisch. Bei zweieiigen Zwillingen entwickelt dagegen das zweite Geschwisterchen nur in 23 Prozent der Fälle ebenfalls einen Autismus.
Eine Studie an 1,5 Millionen US-amerikanischen Familien mit einem autistischen und einem zweiten Kind hat gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, ein weiteres Kind mit ASS zu bekommen, vom Geschlecht abhängt. Das höchste Risiko von 16,7 Prozent hatten dabei Jungen mit einer älteren, autistischen Schwester.
Jungen mit einem autistischen großen Bruder hatten ein 12,9-prozentiges, Mädchen mit autistischer großer Schwester ein 7,6-prozentiges und Mädchen mit autistischem älteren Bruder ein 4,2-prozentiges Risiko ebenfalls eine ASS aufzuweisen. Diese Ergebnisse bestätigen zudem die höhere Anzahl von männlichen gegenüber weiblichen Personen mit einer ASS in der Gesamtbevölkerung.
Offensichtlich spielen also bestimmte Genveränderungen bei der Entstehung von Autismus eine Rolle. Bei 10 bis 15 Prozent der Autisten ist beispielsweise das „Fragile
X-Chromosom
“ nachzuweisen – hier ist eine genetische Veränderung auf dem X-Chromosom die Ursache einer kognitiven Beeinträchtigung.
Bislang haben Forscher noch keine Veränderung des Gehirns nachweisen können, die für Autismus typisch ist. Allerdings wurden in jenen Hirnabschnitten Auffälligkeiten gefunden, die für die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten verantwortlich sind. Noch ist unklar, ob sie als Folge des Autismus entstanden sind oder die Symptome hervorrufen.
Vermutlich ist die Gehirnentwicklung von autistischen Kindern bereits im Mutterleib gestört, was sich später auf eine normale Hirnentwicklung auswirkt. So haben autistische Kinder einen größeren hinteren Hirnabschnitt und in den ersten Lebensjahren einen größeren Kopfumfang. Dies beeinflusst wahrscheinlich die Vernetzung von Informationen im
Gehirn
.
Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung weisen meist höhere Spiegel der Botenstoffe
Serotonin
und
Dopamin
auf. Diesen Umstand machen sich Ärzte bei der Autismus-Therapie zunutze: Es werden sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer eingesetzt, die auch bei Depressionen helfen.
Bis zum 18. Lebensmonat entwickeln sich die sprachlichen und motorischen Fähigkeiten von Kindern generell sehr unterschiedlich. Deshalb ist bis zu diesem Zeitpunkt eine eindeutige Autismus-Diagnose schwierig. Gerade intelligenteren Kindern gelingt es zudem, einige Symptome zu verbergen. Das ist problematisch: Eine frühe Erkennung ist wichtig für eine frühzeitige Förderung des Kindes.
Hinter manchen Symptomen können auch körperliche Erkrankungen stecken. Diese muss der Arzt zunächst ausschließen. Dabei helfen ihm neurologische, laborchemische und bildgebende Verfahren. Zudem kontrolliert er in Hörprüfungen und Sehtests die Funktionsfähigkeit von Ohren und Augen. Wichtig ist auch eine Messung der Hirnströme (
EEG
): Damit lassen sich Gehirnschäden nachweisen bzw. ausschließen.
Lässt sich keine körperliche Ursache für die Symptome finden, kommt meist ein Spezialist ins Spiel. Kinder- und Jugendpsychiater sind mit den Symptomen und Formen von Autismus bestens vertraut. Sie verfügen über die nötige Erfahrung und diagnostischen Methoden, um eine sichere Diagnose stellen zu können.
Die unterschiedliche Ausprägung der Symptome kann bei der Einschätzung Schwierigkeiten bereiten. So können die charakteristischen Anzeichen des Autismus so schwach in Erscheinung treten, dass sie bei guter familiärer Unterstützung und Integration kaum auffallen. So wird der Autismus oft erst im Erwachsenenalter diagnostiziert.
Mithilfe von Fragebögen werden in speziellen Autismus-Tests gezielte Symptome beurteilt. Im Mittelpunkt stehen die Symptomkomplexe, die für Autismus-Spektrum-Störungen charakteristisch sind. Bei Kleinkindern beantworten Eltern die Fragen und schätzen die Symptome ein.
Häufig setzen spezialisierte Fachärzte die „Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen“ (ADOS) und das „Diagnostische Interview für Autismus“ (ADI-R) ein. Diese Methoden können bei Betroffenen ab dem zweiten Lebensjahr angewendet werden.
Vor allem der frühkindliche Autismus geht zu 70 Prozent mit einer geistigen Behinderung einher. Bei Verdacht auf Autismus ermittelt man daher unter anderem auch den Intelligenzquotienten (IQ). Gängige Tests sind:
Besonders ein leichter Autismus kann jahrelang unbemerkt bleiben und sich erst im Erwachsenenalter unter veränderten Bedingungen zeigen. Viele Betroffene berichten dann nicht selten, dass sie sich schon immer „anders“ als ihre Mitmenschen gefühlt haben. Deshalb gibt es mittlerweile eine Reihe von Autismus-Selbsttests, mit denen man eine erste Selbsteinschätzung treffen kann.
Ein sogenannter Autismus-Spektrum-Quotient (AQ) dient als Maßstab für den Schweregrad einer Autismus-Spektrum-Störung. Der von Simon Baron-Cohen entwickelte AQ-Test versucht, in 50 Fragen eine erste Einschätzung zu liefern.
Achtung:
Autismus-Selbsttests ersetzen nicht den Besuch beim Arzt. Sie können aber einen ersten Verdacht erhärten. Die Betroffenen sollten dann einen Spezialisten aufsuchen, um weitere Untersuchungen durchführen zu lassen.
Zur Autismus-Spektrum-Störung zählen verschiedene Formen von Autismus und verwandten Störungen.
Wenn man von Autismus spricht, ist meist der Frühkindliche Autismus gemeint. Erste Symptome wie Kontaktscheue zeigen sich schon beim Säugling. Die Diagnose erfolgt aber meist erst um den 18. Lebensmonat herum.
Typisch für Kinder mit Frühkindlichem Autismus sind die klassischen Autismussymptome, also mangelnde soziale Kompetenz, Sprach- und Kommunikationsprobleme sowie stereotype Verhaltensweisen.
Mehr zu dieser Form des Autismus erfahren Sie im Beitrag
Frühkindlicher Autismus
.
Das Asperger-Syndrom macht sich in der Regel erst nach dem dritten Lebensjahr bemerkbar. Die Kinder zeigen einige Symptome des frühkindlichen Autismus, zum Beispiel gestörte soziale Kompetenzen, ein stereotypes Verhaltensmuster oder ein besonderes Interesse für eine spezielle Sache. Viele sind zudem motorisch ungeschickt und etwas „tollpatschig“.
Beim Asperger-Syndrom sind die Symptome allerdings weniger stark ausgeprägt als beim Frühkindlichen Autismus. Viele der Betroffenen sind normal intelligent. Sie können durch unterstützende Gruppentherapien lernen, mit ihrer „Andersartigkeit“ im Alltag sehr gut klarzukommen und ein selbstständiges Leben zu führen. Mehr zu dieser Form von Autismus lesen Sie im Beitrag
Asperger-Syndrom
.
Der Atypische Autismus (psychogener Autismus) wird auch frühkindlicher Autismus mit atypischem Erkrankungsalter oder atypischer Symptomatik genannt.
Er unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus dadurch, dass betroffene Kinder erst nach dem dritten Lebensjahr die autistische Störung entwickeln oder nicht alle Symptome aufweisen.
Der High-Functioning Autismus ist keine offizielle Diagnoseklassifikation. Er beschreibt Menschen mit typischen Symptomen eines Frühkindlichen Autismus, die über eine relativ hohe Intelligenz oder besondere Fähigkeiten in einzelnen Bereichen verfügen.
Darüber hinaus wird der Begriff auch für Autisten verwendet, bei denen im Kindesalter die Diagnose Frühkindlicher Autismus gestellt wurde, die sich aber gut entwickelt haben und im Erwachsenenalter selbstständig leben können.
Neben den drei typischen Autismus-Formen gibt es noch weitere tiefgreifende Entwicklungsstörungen, die ähnliche Symptome wie Autisten aufweisen, aber die diagnostische Definition „Autismus“ nicht erfüllen.
Das Rett-Syndrom kommt fast ausschließlich bei Mädchen vor – im Gegensatz zu autistischen Störungen, die häufiger Jungen treffen. Erste Symptome treten nach einer anfangs normalen Entwicklung zwischen dem 7. und 24. Lebensmonat auf.
Die betroffenen Kinder scheinen Fähigkeiten der Hände und Sprache, die sie schon erlernt hatten, wieder zu vergessen. Mit den Händen führen sie vermehrt stereotype, streichende „Waschbewegungen“ durch.
Gleichzeitig nimmt das Kopfwachstum zwischen dem fünften Lebensmonat und dem vierten Lebensjahr ab. Die Kinder verlieren ihre Sprachfähigkeit wieder völlig. Ihre Intelligenz ist stark herabgesetzt.
Neben dem Rett-Syndrom gibt es noch andere Störungen im Kindesalter, bei denen erworbene Fertigkeiten nach einer zunächst normalen Entwicklung verloren gehen und die zum autistischen Formenkreis zählen.
Unter desintegrativen Störungen leiden unter anderem die Sprache, die soziale Interaktion und die Kommunikationsfähigkeit. Die Betroffenen verlieren häufig die Kontrolle über die Blase und den
Darm
. Sie zeigen wiederholte, stereotype Verhaltensmuster und meistens eine starke geistige Behinderung.
Hyperaktive Störungen sind oft schwierig von anderen Autismus-Formen abzugrenzen. So gibt es Verhaltensauffälligkeiten, die mit Stereotypien, geistiger Behinderung und zum Teil mit selbstverletzendem Verhalten einhergehen.
Solche hyperaktiven Störungen fallen unter Umständen ebenfalls in das autistische Spektrum. Typisch für diese Störungen ist, dass sie mit Medikamenten nicht behandelbar sind. Außerdem kehrt sich in der Pubertät die anfängliche Hyperaktivität in eine Hypoaktivität um – also einen verminderten Bewegungsdrang.
Jeder Autismus ist individuell. Entsprechend individuell muss auch die Therapie sein. Das ganzheitliche Konzept beinhaltet, die vorhandenen Fähigkeiten des Kindes zu unterstützen und neue zu entwickeln. Dabei wird das Umfeld des Kindes in die Therapie einbezogen. So kann das Kind in der Gruppe, mit der Familie und anderen Kindern seine Fähigkeiten trainieren.
Fokussierung:
Um im Alltag besser zurechtzukommen, lernen Menschen mit frühkindlichem Autismus in Spielen und durch Belohnung, ihre Wahrnehmung auf die wichtigen Informationen zu lenken. Dadurch verstehen sie ihre Umwelt besser, und die
Angst
vor Veränderungen nimmt ab.
Verhaltenstherapie:
Verhaltenstherapeutische Techniken können die sozialen Fertigkeiten verbessern und stereotype Verhaltensweisen abbauen. Hilfreich sind beispielsweise Rollenspiele und der Kontakt mit Kindern ohne Autismus.
Sprachtraining:
Ein Sprachtraining (
Logopädie
) kann den Betroffenen die soziale Bedeutung sprachlicher Elemente erklären und das Sprachverständnis sowie das aktive Sprechen fördern. Es sollte allerdings vor dem achten Lebensjahr beginnen, da die Erfolgsaussichten mit dem Alter sinken.
Wesentliches Ziel der Therapie ist die Förderung folgender Fähigkeiten:
Es gibt darüber hinaus eine Reihe von Behandlungsansätzen, die speziell für die Arbeit von Menschen mit Autismus entwickelt wurden.
TEACCH (Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped Children) ist ein auf autistische Menschen spezialisiertes Programm. Es ist für Kinder ebenso geeignet wie für Erwachsene.
Wichtigstes Ziel des Programms ist es, die Selbstständigkeit und Lebensqualität autistischer Menschen zu verbessern. Dazu wird für jeden Klienten ein individuelles Konzept entwickelt, das seine besonderen Stärken und Interessen berücksichtigt.
Klare Strukturen sind für Menschen mit Autismus besonders wichtig. Sie verleihen ihnen Sicherheit und ermöglichen es ihnen, sich besser auf neue Situationen einstellen. Das gilt für den Alltag ebenso wie für das Lernen. TEACCH setzt dabei auf zwei zentrale Prinzipien:
Beispiele für die praktische Anwendung dieser beiden Prinzipien: Der Unterrichtsraum wird optisch in einen Lern- und einen Ruhebereich unterteilt. Das Lehrmaterial wird nach Farben und Formen sortiert. Die Unterrichtszeit wird durch Signale wie Klingeln oder Anfangs- und Schlussrituale zeitlich strukturiert.
Eine weitere Therapieoption ist die Applied Behaviour Analysis (ABA), zu Deutsch „Angewandte Verhaltensanalyse“, und das ergänzende Verbal Behaviour (VB). Damit lassen sich soziale und kommunikative Fähigkeiten trainieren.
Dazu stellt der Therapeut zunächst fest, welche Fähigkeiten ein autistisches Kind schon besitzt und welche es noch erlernen sollte. Dann werden komplexe Verhaltensweisen in kleinste Teilschritte zerlegt, die das Kind dann Schritt für Schritt erlernen kann. Erwünschtes Verhalten wird dabei belohnt und so verstärkt.
Unangemessenes Verhalten wie Schreien, Wutanfälle oder Weglaufen werden konsequent ignoriert. Im Prinzip basiert die ABA damit auf der klassischen Konditionierungstherapie.
Zwei typische Schwächen erschweren vielen Autisten soziale Kontakte: mangelnde Selbstkontrolle und fehlende „Theory of Mind.“
Als Theory of Mind bezeichnet man die intuitive Fähigkeit, Emotionen, Gedanken und Absichten anderer Menschen zu verstehen. Normalerweise entwickelt sich das bei Kindern automatisch und ganz nebenbei. Kinder mit Autismus müssen sich das Deuten von Gesichtsausdrücken, Blicken oder Gesten dagegen mühsam aneignen. Ebenfalls schwer fällt es ihnen, Ironie oder Metaphern zu verstehen.
Spezielle Übungen können Autisten helfen, zwischen den eigenen Gedanken und denen ihres Umfelds zu unterscheiden. Zudem können die Übungen das Verständnis für die Gefühle anderer Menschen trainieren.
Umgekehrt haben Menschen mit Autismus auch Probleme, die eigene Gefühlswelt auszuloten. Auch hier helfen ihnen Übungen, ihre Gefühle zu erkennen, einzuordnen und rechtzeitig wahrzunehmen, wenn sie überfordert oder frustriert sind. So lassen sich emotionale Ausbrüche und Krisen im Vorfeld entschärfen.
Eltern autistischer Kinder sind im Alltag einer viel größeren Belastung ausgesetzt als Eltern normaler Kinder. Daher gibt es eine Reihe von Programmen, die ihnen helfen sollen, Stress abzubauen und den richtigen Umgang mit ihren autistischen Kindern zu erlernen. Außerdem vermittelt man ihnen Methoden, um einen besseren Kontakt zu ihrem Kind aufzubauen.
Autismus-Spektrum-Störungen werden oft von anderen Krankheiten begleitet, die die Verhaltenstherapie erschweren. Das können zum Beispiel Depressionen, Angststörungen und
Epilepsie
sein. Solche Erkrankungen lassen sich oft gut mit Medikamenten behandeln.
Wiederholte, stereotype Bewegungen kann man bei Bedarf mit speziellen Wirkstoffen lindern, den sogenannten Selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI). Bei Aggressivität gegen sich und andere können atypische Neuroleptika helfen.
Achtung:
Autistische Menschen reagieren oft besonders sensibel auf Medikamente. Daher treten Nebenwirkungen bei ihnen oft stärker in Erscheinung. Zudem soll die Einnahme solcher Medikamente die Verhaltenstherapien nur unterstützen, aber nicht ersetzen.
Wird erst im Erwachsenenalter ein leichter Autismus festgestellt, können Betroffene von Gesprächsgruppen und Verhaltenstherapien unter ambulanter psychiatrischer Betreuung profitieren. Sie lernen dabei, Gefühle besser zu verstehen und sich besser in andere Menschen hineinzuversetzen. Außerdem erfahren sie, wie sie ihre sozialen Kontakte stärken.
Viele Betroffene und ihre Angehörigen versuchen auch alternative therapeutische Ansätze. Deren Wirksamkeit ist oft nicht bewiesen, teilweise sind die Methoden sogar sehr umstritten. Die Kosten sind darüber hinaus oft hoch und werden meist nicht von den Kassen übernommen. Besprechen Sie daher mit dem behandelnden Therapeuten, ob eine ergänzende Therapie sinnvoll sein oder eventuell Schaden anrichten könnte.
Als unwirksam gelten derzeit unter anderem:
Wie sich eine autistische Störung im Einzelfall entwickelt, lässt sich nicht vorhersagen. Der Verlauf hängt unter anderem von der Form des Autismus sowie eventuellen Begleiterkrankungen (wie Depressionen) ab.
Beispielsweise bleiben beim Frühkindlichen Autismus die typischen Symptome ein Leben lang bestehen, also etwa die Probleme bei der sozialen Interaktion und beim Aufbau von Beziehungen sowie die Sprachbeeinträchtigungen. In der Kindheit sind die Symptome meist am stärksten ausgeprägt. Bei manchen Betroffenen verbessert sich das Verhalten dann im Jugend- und frühen Erwachsenenalter. Es gibt aber auch Menschen, bei denen die autistische Störung bis ins Erwachsenenalter unverändert bleibt oder bei denen nach anfänglicher Verbesserung die Symptome wieder zunehmen.
Der Großteil der Autisten weist eine geistige Behinderung auf, die die Intelligenz einschränkt. Manche leiden zudem unter
Schlafstörungen
, Ängsten oder teilweise aggressivem Verhalten.
Rund 75 Prozent der Autisten sind ein Leben lang auf Hilfe angewiesen. Die meisten autistischen Jugendlichen wachsen heute in ihren Familien auf. Sie erhalten Fördermaßnahmen und werden intensiv betreut.
Es gibt aber auch Menschen mit leichterem Autismus, die gut alleine zurechtkommen. Sie sind in der Lage, sich ein gewisses Maß an sozialer Kompetenz anzutrainieren. Einige Autisten üben zudem anspruchsvolle Berufe aus. Besonders Inselbegabungen (wie eine große Rechenbegabung) können oft effektiv im Beruf genutzt werden.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Hanna Rutkowski ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.
Christiane Fux studierte in Hamburg Journalismus und Psychologie. Seit 2001 schreibt die erfahrene Medizinredakteurin Magazinartikel, Nachrichten und Sachtexte zu allen denkbaren Gesundheitsthemen. Neben ihrer Arbeit für NetDoktor ist Christiane Fux auch in der Prosa unterwegs. 2012 erschien ihr erster Krimi, außerdem schreibt, entwirft und verlegt sie ihre eigenen Krimispiele.
Autismus
Autismus: Kurzübersicht
Was ist Autismus?
„Autisten sind oft eine große Bereicherung“
Drei Fragen an
Kinder- und Jugendpsychiaterin
Kinder- und Jugendpsychiaterin
Symptome
Autismus-Symptome: Soziale Interaktion
Verwirrende Gefühlswelt
Autismus-Symptome: Kommunikation
Autismus-Symptome: Interessen und Verhaltensmuster
Begleiterscheinung: Inselbegabung
Autismus: Ursachen und Risikofaktoren
Genetische Ursachen
Gehirnentwicklung
Gestörte Hirnchemie
Autismus: Untersuchungen und Diagnose
Autismus-Diagnostik beim Arzt
Autismus-Diagnose beim Psychiater
Autismus: Test
Autismus-Test: Intelligenztests
Tests zur Einschätzung des Autismus-Schweregrads
Autismus-Formen
Frühkindlicher Autismus
Asperger-Syndrom
Atypischer Autismus
High-Functioning Autismus
Weitere Entwicklungsstörungen mit autistischen Zügen
Rett-Syndrom
Sonstige desintegrative Störungen
Hyperaktive Störungen mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien
Autismus: Behandlung
Ziele der Autismus-Therapie
TEACCH
Applied Behaviour Analysis (ABA)
Lernen durch Konditionierung
Training von Selbstkontrolle und Theory of Mind
Hilfe für die Familie
Medikamente
Autismus-Therapie bei Erwachsenen
Alternative Behandlungsansätze
Autismus: Verlauf und Prognose
Autoren- & Quelleninformationen