Illness name: orthorexie
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Tanja Unterberger studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien. 2015 begann sie ihre Arbeit als Medizinredakteurin bei NetDoktor in Österreich. Neben dem Schreiben von Fachtexten, Magazinartikeln sowie News bringt die Journalistin auch Erfahrung im Podcasting und in der Videoproduktion mit.
Orthorexie (auch „Orthorexia nervosa“) bezeichnet ein auffälliges Essverhalten, bei dem sich Betroffene dazu zwingen, gesund zu essen. Sie setzen sich intensiv mit gesunder Ernährung auseinander und legen strikte Ernährungsregeln fest, die oft ihren gesamten Tagesablauf bestimmen. Bislang sind sich Experten jedoch uneinig, ob Orthorexie eine eigenständige Krankheit ist. Mehr zum Thema lesen Sie hier!
Unter Orthorexie (auch Orthorexia nervosa; griechisch „orthos“ = „richtig“ und „orexis“ = „Appetit“) versteht man ein zwanghaftes Essverhalten, bei dem Betroffene darauf fixiert sind, gesund zu essen. Aus Sorge um die eigene Gesundheit beschäftigen sich Menschen mit Orthorexie übermäßig mit dem Thema Ernährung – gesundes Essen wird zum Zwang. Dabei geht es Orthorektikern nicht um die Menge, sondern um die Qualität dessen, was sie essen.
Der amerikanische Arzt Steven Bratman, der früher selbst orthorektisches Essverhalten zeigte, hat den Begriff „Orthorexie“ 1997 erstmals beschrieben.
Orthorektiker entwickeln ihre eigenen Ernährungsvorschriften und werden in der Auswahl der erlaubten Lebensmittel immer strenger mit sich selbst. Dabei definieren sie selbst, was für sie als gesund gilt. In manchen Fällen nimmt dies extreme Formen an.
Betroffene haben mitunter Angst, durch ungesundes Essen krank zu werden. Daher streichen sie häufig immer mehr Lebensmittel von ihrem Speiseplan. Die Ernährung bestimmt zunehmend den gesamten Tagesablauf, die Gefühle und die privaten sowie beruflichen Entscheidungen der Betroffenen. Dies hat oft schwere Folgen – nicht nur psychisch, sondern auch körperlich.
Bei Orthorexie handelt es sich um ein krankhaftes Essverhalten, das nicht mit gesunder Ernährung zu verwechseln ist!
Menschen mit Orthorexie teilen Lebensmittel rigide in „gesund“ und „ungesund“ beziehungsweise in „erlaubt“ und „verboten“ ein. Sie pflanzen oft selbst Gemüse und Obst an, kaufen im Bioladen, auf dem Markt oder direkt beim Bauern ein. Alle Nahrungsmittel, die sie für ungesund befinden, streichen sie vom Speiseplan, wobei die Anzahl der verbotenen Nahrungsmittel im Laufe der Zeit immer größer wird.
Lebensmittel, die Orthorektiker häufig vom Speiseplan streichen, sind unter anderem:
Bislang ist Orthorexia nervosa weder im internationalen Klassifikationssystem für Krankheiten (ICD-10) noch im Klassifikationssystem der Vereinigten Staaten (DSM-5) gelistet. Sie gilt daher offiziell nicht als eigenständige Erkrankung und damit auch nicht als Essstörung.
Obwohl es sich bei Orthorexie nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Erkrankung handelt, zeigt die Besessenheit von gesunder Ernährung Parallelen zu einer
Zwangsstörung
. Ihr Status als eigenständige Krankheit wird derzeit von Experten diskutiert.
Ausgewogene und bewusste Ernährung ist wichtig für einen gesunden Lebensstil. Allerdings ist die Beschäftigung mit gesunder Ernährung problematisch, wenn:
Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Orthorexie und Anorexie (
Magersucht
) besteht darin, dass es dem Orthorektiker um die Qualität der Lebensmittel geht (qualitative Essstörung) – er will sich gesund ernähren. Während es einem Menschen mit Anorexie um die Quantität der Nahrungsmittel geht (quantitative Essstörung) – er will möglichst wenig bis gar nichts zu sich nehmen.
Zwischen Orthorexie und Anorexie gibt es allerdings auch Zusammenhänge. So ist es einerseits möglich, dass die Orthorexie als „Türöffner“ zu anderen Essstörungen wie einer Anorexie oder
Bulimie
(Ess-Brech-Sucht) führt. Andererseits könnte die Orthorexie für Betroffene auch ein Weg sein, um eine schwerere zugrundeliegende Essstörung zu bewältigen. Ihr orthorektisches Verhalten funktioniert für sie dann wie eine Art „Ausstiegsdroge“.
Möglich ist also, dass sich hier zwei Krankheiten überlappen oder sogar ineinander übergehen.
Orthorektisches Essverhalten tritt unter Umständen im Zusammenhang mit anderen Essstörungen wie Anorexie oder Bulimie auf.
Schätzungen zufolge zeigen etwa ein bis drei Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung Anzeichen einer Orthorexie. Dabei sind überwiegend jüngere Frauen betroffen und vor allem Menschen, die sich sowohl in privaten als auch beruflichen Bereichen sehr viel mit körperlicher Fitness und Gesundheit beschäftigen.
Dazu gehören beispielsweise Leistungssportler oder Ernährungsberater. Mittlerweile zeigen mitunter auch Kinder ein orthorektisches Verhalten, wenn sich die Eltern entsprechend ernähren.
Da jeder Mensch individuell verschieden ist, sind auch die Ursachen für Orthorexie unterschiedlich. Hinter Essstörungen verbergen sich meist tieferliegende seelische Probleme. Die Gründe dafür sind wiederum vielfältig und reichen von traumatischen Erlebnissen wie körperlicher Misshandlung über familiäre Konflikte bis hin zu extremem Leistungsdruck und Mobbing.
Eine immer größere Rolle bei Essstörungen spielen außerdem die sozialen Medien, in denen häufig überzogene und unrealistische Körperideale dargestellt werden. Dies erzeugt besonders bei jüngeren Menschen häufig einen starken Druck, einem gewissen Körperbild zu entsprechen, was die Entstehung eines gestörten Essverhaltens begünstigt.
Experten vermuten außerdem, dass Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen (z.B. Hang zum Perfektionismus) besonders empfänglich für eine Orthorexie sind.
Symptome einer Orthorexie äußern sich auf unterschiedliche Weise. Allerdings gibt es bestimmte Verhaltensweisen, die bei Menschen mit Orthorexie vermehrt auftreten.
So entwickeln Orthorektiker meist ihre eigenen Ernährungsregeln, von denen sie nicht mehr abweichen. Ein Verstoß – zum Beispiel, wenn sie ein Stück Torte essen – führt dazu, dass sie sich schuldig fühlen und sich für ihr Versagen schämen. Sie sind im weiteren Verlauf in der Auswahl der erlaubten Lebensmittel immer unflexibler und strenger mit sich selbst. Selbst auf Lebensmittel, die sie früher gerne gegessen haben, verzichten sie.
Während manche auf einzelne Lebensmittel (z.B. Zucker) verzichten, streichen andere ganze Lebensmittelgruppen (z.B. Kohlenhydrate wie Reis, Brot, Nudeln, Kartoffeln) oder essen nur noch Rohkost (z.B. rohes Gemüse). Manche begrenzen ihren Speiseplan sogar auf nur ein oder zwei Obstsorten. Damit reduzieren sie die „erlaubten“ Lebensmittel immer weiter, was die Gefahr einer Unterversorgung mit lebensnotwendigen Nährstoffen birgt.
Ebenso sind manche Orthorektiker auf bestimmte Zubereitungsarten (z.B. Dünsten, Rohkost) oder fixe Zeitpläne (z.B. kein Essen nach 18 Uhr) zur Mahlzeiteneinnahme fixiert. Die Fixierung auf gesundes Essen bestimmt dann häufig den gesamten Tagesablauf der Betroffenen.
Menschen mit Orthorexie wollen außerdem häufig nicht einsehen, dass ihr Essverhalten zwanghaft ist. Orthorektiker halten ihre Ernährungsform in der Regel für die einzig richtige und möchten andere Personen missionsartig davon überzeugen.
Der Genuss und die Freude am gemeinsamen Essen rücken zugunsten des vermeintlich „richtigen“ Essens zunehmend in den Hintergrund. Aus Angst, etwas essen zu müssen, das ihren Anforderungen nicht entspricht, schlagen Orthorektiker oft Einladungen von Freunden und Familie aus.
Zu den typischen Symptomen für Orthorexie gehören zusammenfassend:
Wer darauf achtet, sich bewusst und gesund zu ernähren, ist nicht zwangsläufig von Orthorexie betroffen!
Da Orthorexie bislang nicht als eigenständige Erkrankung anerkannt ist, gibt es auch noch kein anerkanntes Vorgehen zur Diagnose.
Der Arzt Steven Bratman schlug allerdings Kriterien vor, um eine Orthorexie zu diagnostizieren. Dazu entwickelte er einen Fragebogen, mit dem sich ermitteln lässt, ob jemand zwanghaft auf gesunde Ernährung fixiert ist:
Laut Bratman ist es möglich, dass jemand von Orthorexie betroffen ist, wenn er vier oder mehr Fragen mit „ja“ beantwortet.
Da es sich bei der Orthorexie um keine eigenständige Erkrankung handelt, gibt es bislang keine wissenschaftlich anerkannte Therapie oder Leitlinien. Dennoch gibt es Hilfe für Betroffene. In vielen Fällen ist eine
Gesprächstherapie
beim Psychologen oder Psychotherapeuten erfolgreich. Voraussetzung dafür ist, dass der Betroffene sein problematisches Verhalten einsieht.
Denn allzu häufig fühlen sich Orthorektiker mit ihrem Essverhalten anderen Menschen moralisch überlegen. Sie nehmen tatsächlich an, sich richtig zu ernähren. Daher gestehen sich Menschen mit Orthorexie oft lange nicht ein, dass ihr Verhalten problematisch ist. Deshalb bleibt orthorektisches Essverhalten lange unerkannt. Viele Betroffene gehen meist erst zum Arzt, wenn sie Begleiterscheinungen ihrer Mangelernährung haben, wie Schlaflosigkeit, Hautprobleme oder Erschöpfung.
Gelingt es Betroffenen allerdings doch, eine kritische Distanz zu ihrem Essverhalten zu gewinnen, ist es wichtig, dass sie therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Auf diese Weise lernen sie, Probleme aufzuarbeiten, die hinter ihrem Essverhalten stecken.
Eine Ernährungsberatung ist außerdem oft sinnvoll, um die Angst vor vermeintlich ungesunden Lebensmitteln zu nehmen. Um den Betroffenen nicht zu überfordern, kann es anfangs hilfreich sein, nur kleine Mengen bestimmter Nahrungsmittel zu probieren. Dabei soll der Orthorektiker unter anderem lernen, Geschmacksrichtungen bewusst wahrzunehmen und eventuell auch zu beschreiben: Was schmecke ich? Schmeckt es gut? Wie fühle ich mich dabei? Ziel ist es, dass Betroffene wieder Freude am Essen haben, und lernen, mit Lebensmitteln aller Art entspannter umzugehen.
Hat der Betroffene wegen seiner strikten Ernährungsweise stark an Gewicht verloren und ist unterernährt, ist es meist auch notwendig, dass ihn ein Arzt behandelt (z.B. durch Zufuhr von Vitaminen oder, in schweren Fällen, eine künstliche Ernährung über Infusionen oder Magensonden).
Bestehen Zweifel, ob das eigene Essverhalten oder das eines Freundes bzw. eines Angehörigen angemessen ist, fragen Sie einen Psychotherapeuten mit Spezialisierung auf Essstörungen um Rat. Als erster Ansprechpartner bietet sich zudem der Hausarzt an.
Häufig bemerken Angehörige eine Essstörung früher als der Betroffene selbst, da ihm meist die Einsicht fehlt. Wichtig ist daher, dass Sie dem Betroffenen in einem ruhigen Moment zu verstehen geben, dass Sie sich um sein Verhalten sorgen. Seien Sie dabei geduldig, und machen Sie keine Vorwürfe. Erwarten Sie nicht zu viel. In manchen Fällen stoßen Sie womöglich auf taube Ohren. Lassen Sie dem Betroffenen Zeit, und überfordern Sie ihn nicht.
Wichtig ist auch, dass Sie sich im Umgang mit Orthorektikern selbst schützen. Spielen Sie nicht den „Arzt“ oder „Therapeuten“. Das raubt Ihnen die eigenen Kräfte. Suchen Sie sich Hilfe, wenn Sie nicht mehr weiterwissen. Sorgen Sie gut für sich selbst, und vernachlässigen Sie nicht Ihre eigenen Interessen.
Es ist wichtig, dass Sie dem Betroffenen vermitteln, dass Sie für ihn da sind („Ich bin da, wenn du mich brauchst“) und für ein Gespräch bereitstehen.
Wenn Sie den Verdacht haben, dass Sie selbst beziehungsweise ein Freund oder Angehöriger Probleme mit dem Essverhalten hat, können Sie sich unter anderem an folgende Ansprechpartner wenden:
Menschen mit Orthorexie fixieren sich häufig so stark auf gesundes Essen, dass sie im Extremfall ihre eigene Gesundheit gefährden. Wegen ihrer eingeschränkten Lebensmittelauswahl ernähren sich Orthorektiker meist sehr einseitig.
Dadurch nehmen sie wichtige Mikro- und Makronährstoffe sowie Vitamine wie Eiweiß,
Eisen
,
Kalzium
,
Vitamin B12
sowie die Vitamine A, D, E und K nicht ausreichend zu sich. Dies führt unter Umständen dazu, dass Betroffene mangelernährt sind und stark an Gewicht verlieren (
Untergewicht
), was im schlimmsten Fall zum Tod führt.
Erste Warnzeichen einer Mangelernährung sind unter anderem
Müdigkeit
, Antriebslosigkeit, Hautprobleme,
Schlafstörungen
und Konzentrationsstörungen sowie bei schwerem Verlauf ein niedriger Blutdruck und verlangsamter Puls.
Orthorexie hat für Betroffene allerdings nicht nur körperliche Folgen. Häufig sind auch ihre Lebensqualität und ihr soziales Leben davon beeinträchtigt. Insbesondere wenn Orthorektiker von ihrer moralischen Überlegenheit überzeugt sind und ihr Umfeld zu einem gesünderen Leben bekehren wollen, kann dies zu Konflikten führen. Wegen ihrer strengen Ernährungsregeln werden Restaurantbesuche oder Treffen mit Freunden zudem oft unmöglich.
Frühzeitig erkannt und behandelt, stehen die Chancen allerdings gut, dass aus einem restriktiven Essverhalten bei Orthorektikern langfristig keine Essstörung entsteht.
Da hinter einer Orthorexie oft seelische Probleme stecken, ist es wichtig, bereits bei Kindern und Jugendlichen (z.B. in der Schule) vorzubeugen. Dazu ist es wichtig, dass Kinder ihr Selbstbewusstsein stärken, ein positives Körpergefühl entwickeln und einen kritischen Umgang mit sozialen Medien lernen.
Wichtig ist außerdem, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine gesunde Ernährung nicht ausschließlich aus gesunden Lebensmitteln besteht, sondern auch der Genuss eine wichtige Rolle spielt.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Tanja Unterberger studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Wien. 2015 begann sie ihre Arbeit als Medizinredakteurin bei NetDoktor in Österreich. Neben dem Schreiben von Fachtexten, Magazinartikeln sowie News bringt die Journalistin auch Erfahrung im Podcasting und in der Videoproduktion mit.
Orthorexie
Kurzübersicht
Was ist Orthorexie?
Was essen Orthorektiker?
Ist Orthorexie eine Essstörung?
Ab wann gilt die Beschäftigung mit gesunder Ernährung als zwanghaft?
Was ist der Unterschied zu anderen Essstörungen wie Anorexie?
Wer ist betroffen?
Wie entsteht Orthorexie?
Was sind typische Anzeichen für Orthorexie?
Wie diagnostiziert der Arzt Orthorexie?
Wie behandelt man Orthorexie?
Was können Angehörige tun?
Wohin kann man sich wenden?
Was sind die Folgen von Orthorexie?
Wie kann man vorbeugen?
Autoren- & Quelleninformationen