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Polio

Von Dr. med. Mira Seidel
Dr. med. Mira Seidel

Dr. med. Mira Seidel ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.

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Polio (Kinderlähmung, Poliomyelitis) ist eine hoch ansteckende Infektionskrankheit, die durch Polio-Viren verursacht wird. Sie verläuft meist ohne Symptome, kann aber auch grippeartige Beschwerden hervorrufen. Einige wenige Patienten erkranken schwer und tragen Spätfolgen davon wie Lähmungen, Gelenkfehlstellungen oder Osteoporose. Eine Impfung gegen die Kinderlähmung ist die wichtigste vorbeugende Maßnahme. Erfahren Sie hier mehr über Polio.

ICD-Codes für diese Krankheit: ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen. A80

Polio: Beschreibung

Früher war die Polio (Poliomyelitis, Kinderlähmung) eine gefürchtete Kinderkrankheit, da sie Lähmungen bis hin zur Atemlähmung auslösen kann. 1988 startete die Weltgesundheitsorganisation WHO daher ein weltweites Programm, um die Kinderlähmung auszurotten. Dank dieses Programms trat in Deutschland nach 1990 kein Fall von Kinderlähmung mehr auf (nur einige eingeschleppte Infektionen).

Nach Amerika (1994) und dem Westpazifik (2000) wurde die WHO-Region Europa im Jahr 2002 für poliofrei erklärt. Inzwischen hat auch Südostasien diesen „Status“ erreicht.

In den anderen Regionen wie Afrika kommt es allerdings immer wieder zu Ausbrüchen, wenn die Polio-Impfungen beispielsweise aus politisch-religiösen Gründen ausgesetzt werden. Nicht geimpfte Reisende können sich dort infizieren und die Krankheit nach Europa einschleppen.

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Polio: Symptome

Bei über 95 Prozent der Infizierten verläuft die Infektion ohne Symptome (asymptomatisch) unter Ausbildung von Antikörpern. In den anderen Fällen treten etwa drei bis 35 Tage nach der Ansteckung die ersten Krankheitssymptome auf. Diese Zeitspanne zwischen Ansteckung und Krankheitsausbruch wird Inkubationszeit genannt.

Der Verlauf der Polio-Erkrankung kann variieren: Vier bis acht Prozent der Betroffenen entwickeln eine Polio-Erkrankung ohne Beteiligung des zentralen Nervensystems (ZNS), die sogenannte abortive Polio . In seltenen Fällen weitet sich die Infektion in weiterer Folge auch auf das ZNS aus: Zwei bis vier Prozent der Betroffenen bekommen eine nicht-paralytische Poliomyelitis . Diese entwickelt sich ganz selten weiter zu einer paralytischen Poliomyelitis (0,1 bis 1 Prozent der Fälle).

Abortive Poliomyelitis

Etwa sechs bis neun Tage nach der Ansteckung mit dem Polio-Virus entwickeln die Patienten kurzzeitig unspezifische Symptome wie Übelkeit, Durchfall , Fieber, Magen-, Hals-, Kopf- und Muskelschmerzen .

Nicht-paralytische Poliomyelitis (aseptische Meningitis)

Bei manchen Patienten mit abortiver Polio kommen etwa drei bis sieben Tage danach Fieber, Muskelkrämpfe, Rückenschmerzen und ein steifer Nacken auf - Anzeichen für das Übergreifen der Erkrankung auf das Zentrale Nervensystem.

Paralytische Poliomyelitis

Bei einigen Patienten mit nicht-paralytischer Kinderlähmung bessern sich die Symptome anfänglich. Aber nach zwei bis drei Tagen tritt erneut Fieber auf (zweiphasige = biphasische Fieberkurve). Zudem entwickeln sich schnelle oder schrittweise eintretende schlaffe Lähmungen. Die Lähmungen sind meist asymmetrisch und betreffen Bein-, Arm-, Bauch-, Brustkorb- oder Augenmuskeln . In der Regel bilden sich die Lähmungen teilweise, aber nicht komplett zurück.

Die Ausbildung von Lähmungen wird bei Kindern mit Polio häufiger beobachtet als bei erkrankten Erwachsenen.

Selten kommt es auch zu Sprach-, Kau- oder Schluckstörungen mit einer Schädigung der Hirnnervenzellen und zentraler Atemlähmung (drohende Lebensgefahr!). Manchmal entwickelt sich auch eine Herzmuskelentzündung (Myokarditis), die eine Herzschwäche (Herzinsiffizienz) nach sich zieht.

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Polio: Ursachen und Risikofaktoren

Die Kinderlähmung wird durch eine Infektion mit Polio-Viren verursacht, von denen es drei immunologisch unterschiedliche Typen gibt (Typ 1, 2, 3). Sie gehören zu den Enteroviren, das bedeutet, sie leben und vermehren sich im Magen-Darm-Trakt, genauer gesagt in der Darmschleimhaut und dem Lymphgewebe der Darmwand. Der Mensch ist der einzige natürliche Wirt der Polioviren.

In der Frühphase der Infektion können die Polio-Erreger über den Speichel übertragen werden (etwa beim Husten oder Niesen). In erster Linie erfolgt die Übertragung aber fäkal-oral: Die Patienten scheiden den Erreger massiv mit dem Stuhl aus. Andere Menschen stecken sich dann meist über den Konsum von Lebensmitteln und Getränken an, die Kontakt mit dem infektiösen Stuhl hatten. Schlechte hygienische Verhältnisse begünstigen diesen Ausbreitungsweg der Polio-Viren.

Polio: Dauer der Ansteckungsfähigkeit

Ein Patient ist solange ansteckend, solange er das Virus ausscheidet. Im Speichel ist das Virus frühestens 36 Stunden nach einer Ansteckung nachweisbar. Es kann dort etwa eine Woche verbleiben.

Die Virus-Ausscheidung mit dem Stuhl beginnt zwei bis drei Tage nach der Infektion und hält in der Regel bis zu sechs Wochen an. Menschen mit geschwächtem Immunsystem können das Virus sogar über Monate und Jahre ausscheiden.

Säuglinge von Müttern, die Antikörper gegen Polio in sich tragen, sind in den ersten Lebensmonaten vor einer Ansteckung geschützt. Die mütterlichen Antikörper werden nämlich während der Schwangerschaft über die Plazenta auf das Kind übertragen.

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Polio: Untersuchungen und Diagnose

Bei jeglichem Verdacht auf Polio muss ein Patient sofort ins Krankenhaus gebracht und dort von anderen Patienten isoliert untergebracht werden.

Um eine Poliomyelitis zu diagnostizieren, wird der Arzt genau nach dem Verlauf der Erkrankung und nach der bisherigen Krankengeschichte fragen / Anamnese ) – den Patienten selbst oder (bei erkrankten Kindern) die Eltern. Mögliche Fragen sind:

  • Welche Beschwerden haben Sie bzw. hat Ihr Kind (Übelkeit, Durchfall, Muskelschmerzen, Nackensteife, Taubheitsgefühle etc.)?
  • Wann sind die ersten Symptome aufgetreten?
  • Haben Sie bzw. hat Ihr Kind sich in letzter Zeit im Ausland aufgehalten?

In ausgeprägten Fällen kann der Arzt die Polio allein anhand der Symptome feststellen. Charakteristisch für die paralytische Poliomyelitis ist der zweiphasige Verlauf der Fieberkurve.

Polio: Labortests

Um die Diagnose der Kinderlähmung zu sichern, führt der Arzt zusätzlich Laboruntersuchungen durch:

Das Polio-Virus kann direkt in der Rachenspülflüssigkeit oder dem Stuhl nachgewiesen werden. Aus einer Stuhlprobe gelingt der Nachweis in den ersten zwei Wochen der Erkrankung zu etwa 80 Prozent. Um die genaue Art des Erregers zu bestimmen, wird eine Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) durchgeführt (das Erbgut der gefundenen Keime wird dabei vervielfältigt, damit man es besser analysieren kann).

Der Polio-Erreger lässt sich auch indirekt nachweisen, wenn man spezifische Antikörper gegen das Virus im Blut eines Patienten findet.

Um herauszufinden, ob sich die Kinderlähmung auf das Gehirn ausgebreitet hat, führt der Arzt eine Lumbalpunktion durch: Er entnimmt im Bereich der Lendenwirbelsäule eine kleine Probe der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit ( Liquor ) und gibt sie zur Analyse ins Labor. Im Fall einer Infektion mit Polio lässt sich im Liquor meist Erbguts des Erregers (virale RNA) nachweisen.

Polio: Differenzialdiagnose

Eine plötzliche schlaffe Lähmung kann auch durch das Guillain-Barré-Syndrom hervorgerufen werden. Sie ist dann aber meist symmetrisch und kann sich innerhalb von zehn Tagen zurückbilden. Auch fehlen beim Guillain-Barré-Syndrom oft Begleitsymptome wie Fieber, Kopfschmerz, Übelkeit und Erbrechen.

Bei Krankheitsverläufen ohne Lähmung sollte auch immer eine Hirnhaut- oder Gehirnentzündung ( Meningitis beziehungsweise Enzephalitis ) als Ursache ausgeschlossen werden.

Die infektiöse Kinderlähmung, wie sie in diesem Text beschrieben wird, und die „zerebrale Kinderlähmung“ (Infantile Zerebralparese) dürfen nicht verwechselt werden. Bei letzterer handelt es sich um eine Bewegungs- und Haltungsstörung bei Kindern, die auf einer Schädigung des sich entwickelnden Gehirns vor, während oder kurz nach der Geburt beruht.

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Polio: Behandlung

Besteht der Verdacht auf eine Kinderlähmung, muss der behandelnde Arzt dies sofort dem zuständigen Gesundheitsamt melden und den Patienten in ein Krankenhaus einweisen. Der Patient wird dort in einem Einzelzimmer mit eigener Toilette isoliert und unter Einhaltung strikter Hygienemaßnahmen versorgt. Die Isolierung bleibt so lange aufrecht, bis Labortests im Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren (NRZ PE) eine Polio-Infektion ausschließen konnten.

Bestätigen die Untersuchungen dagegen den Verdacht auf Polio, muss der Patient Bettruhe einhalten. Er bekommt entzündungshemmende Schmerzmittel gegen die Beschwerden. Die Ursache der Kinderlähmung selbst kann bis heute nicht behandelt werden – egal, in welchem Stadium der Erkrankung der Patient sich befindet. Die Behandlung erfolgt daher nur symptomatisch (also nur die Beschwerden lassen sich lindern).

Im Reparationsstadium, wenn die akut entzündlichen Symptome sich allmählich zurückzubilden, sollte der Patient krankengymnastisch betreut werden. Treten Symptome einer Hirnhautentzündung auf, sollte der Patient auf einer Intensivstation behandelt werden. Dort kann er engmaschig überwacht und, falls notwendig, beatmet werden. Außerdem können dort auch andere Komplikationen wie Bluthochdruck , Herzrhythmusstörungen und Blasenentleerungsstörungen optimal versorgt werden. In den ersten Tagen bessern sich die Ausfälle. Es kann jedoch erst nach mehreren Monaten der Grad der bleibenden Ausfälle beurteilt werden.

Polio: Hygienemaßnahmen

Eine konsequente Hygiene trägt dazu bei, dass sich die Kinderlähmung nicht ausbreitet. Dazu gehört vor allem, eine fäkal-orale Schmierinfektion durch regelmäßiges Händewaschen und –desinfektion zu vermeiden. Unabhängig vom Impfstatus sollten Kontaktpersonen so früh wie möglich gegen Polio geimpft werden.

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Polio-Impfung

Nur eine vollständige Impfung kann vor der Kinderlähmung schützen. Erfahren Sie mehr über die Polio-Impfung .

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Polio: Krankheitsverlauf und Prognose

Die meisten Formen der Kinderlähmung haben eine gute Prognose.

Lähmungen können sich bis zu zwei Jahre nach der Infektion spontan zurückbilden, wenn der Patient intensiv physiotherapeutisch betreut wird. Bei etwa einem Viertel aller Patienten mit paralytischer Poliomyelitis bleiben leichte Schädigungen zurück, bei einem weiteren Viertel schwere Schäden. Auch Gelenkfehlstellungen, Bein- und Armlängendifferenzen, Wirbelsäulenverschiebungen und Osteoporose (Knochenschwund) können Spätfolgen einer Kinderlähmung sein.

Sind Hirnnerven von der Erkrankung betroffen, ist die Prognose schlecht. Die Todesrate beträgt zwei bis zwanzig Prozent.

Polio mit ZNS-Beteiligung: Post-Polio-Syndrom

Jahre oder Jahrzehnte nach einer paralytischen Polio kann ein Post-Polio-Syndrom (PPS) auftreten: Vorhandene Lähmungen verschlimmern sich, es kommt zu chronischem Muskelschwund. Begleitsymptome sind Schmerzen und Erschöpfungszustände. Das Post- Polio -Syndrom kann sich nicht nur an jenen Muskeln zeigen, die ursprünglich von der Infektion betroffen waren, sondern auch an neuen Muskelgruppen.

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Autoren- & Quelleninformationen

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Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

Vorlage:
Dr. med. Andreas Ploch
Autor:
Dr. med. Mira Seidel

Dr. med. Mira Seidel ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.

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ICD-Codes:
A80
ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.
Quellen:
  • Baenkler, H. et al.: Duale Reihe Innere Medizin, Georg Thieme Verlag, 3. Auflage, 2012
  • Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V.: www.kinderaerzte-im-netz.de (Abruf: 23.12.2019)
  • Bundesamt für Gesundheit (BAG): Poliomyelitis / Kinderlähmung, unter: www.bag.admin.ch (Abrufdatum: 09.03.2022)
  • Niethard, F.U. et al.: Duale Reihe Orthopädie und Unfallchirurgie, Georg Thieme Verlag, 7. Auflage, 2014
  • Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES): Kinderlähmung (Polio), unter: www.ages.at (Abrufdatum: 09.03.2022)
  • Robert Koch-Institut: www.rki.de (Abruf: 23.12.2019)
  • Sitzmann, F. C. : Duale Reihe Pädiatrie, Georg Thieme Verlag, 3. Auflage, 2007
  • Speer, C. et al.: Pädiatrie, Springer-Verlag, 4. Auflage, 2013