Illness name: muenchhausen syndrom
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Julia Dobmeier absolviert derzeit ihr Masterstudium in Klinischer Psychologie. Schon seit Beginn ihres Studiums interessiert sie sich besonders für die Behandlung und Erforschung psychischer Erkrankungen. Dabei motiviert sie insbesondere der Gedanke, Betroffenen durch leicht verständliche Wissensvermittlung eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen.
Das
Münchhausen-Syndrom
ist eine schwere psychische Störung, bei der die Patienten körperliche Erkrankungen vortäuschen oder absichtlich hervorrufen. Dazu gehören zwanghaft selbstschädigendes Verhalten, das Erfinden spektakulärer Krankengeschichten und ständige Ärztewechsel. Lesen Sie hier alles Wichtige zu Ursachen, Symptomen, Diagnose und Behandlung vom Münchhausen-Syndrom!
Das Münchhausen-Syndrom ist eine schwere psychische Störung. Die Betroffenen täuschen körperliche oder psychiatrische Symptome sowie Behinderungen vor – oder rufen diese absichtlich hervor. Ein solches Verhalten bezeichnet man auch als artifizielle Störung.
Menschen mit dem Münchhausen-Syndrom scheuen weder Schmerzen noch bleibende körperliche Schäden noch Mühen, um glaubhaft zu vermitteln, krank zu sein. Schmerzhafte Behandlungen oder gefährliche Eingriffe wie Operationen schrecken sie nicht ab. Ihr Leben dreht sich vornehmlich darum, von einem Arzt zum anderen und von Klinik zu Klinik zu wandern. Sie meiden allerdings den Aufenthalt in psychiatrischen oder psychosomatischen Einrichtungen. Sie haben meist keine Krankheitseinsicht oder fürchten sich davor, ihr zwanghaftes Verhalten aufgeben zu müssen.
Benannt ist die Störung nach dem berühmten "Lügenbaron" Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen. Denn anders als andere Patienten mit einer artifiziellen Störung erfinden Menschen mit dem Münchhausen-Syndrom oft spektakuläre Krankengeschichten und denken sich oft auch Erlebnisse aus, die andere Lebensbereiche betreffen.
Menschen mit dem Münchhausen-Syndrom verletzen sich zwar selbst oder täuschen geschickt gesundheitliche Probleme vor. Sie haben aber keine finanziellen Interessen oder andere äußere Anreize für ihr Verhalten, sondern wollen einfach Aufmerksamkeit bekommen und medizinisch behandelt werden. Daher zählen sie nicht zu den Simulanten. Diese sind nämlich psychisch gesund und ziehen aus dem Vortäuschen von Krankheiten Vorteile etwa finanzieller Natur.
Menschen mit dem Münchhausen-Syndrom von Simulanten zu unterscheiden, kann sehr schwer sein.
Es gibt zurzeit keine Untersuchungen, welche die Zahl der Betroffenen zuverlässig einschätzen. Experten gehen davon aus, dass etwa zwei Prozent aller Patienten im Krankenhaus an artifiziellen Störungen leiden, ein Teil davon am Münchhausen-Syndrom. Die tatsächliche Zahl könnte aber deutlich höher liegen, da viele Fälle nicht erkannt werden.
Während artifizielle Störungen meist Frauen betreffen (insbesondere solche mit medizinischem Fachwissen), tritt speziell das Münchhausen-Syndrom häufiger bei Männern auf. Neben den Symptomen des Münchhausen-Syndroms werden bei ihnen oft auch noch Persönlichkeitsstörungen wie zum Beispiel die
Borderline
-,
narzisstische
oder
dissoziale Persönlichkeitsstörung
diagnostiziert.
Eine Sonderform ist das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom (auch Münchausen-by-Proxy-Syndrom genannt). Dabei schädigen die Betroffenen nicht sich selbst, sondern andere. Meist sind es Mütter, die ihre Kinder verletzen und krank machen. Anschließend lassen sie sie ärztlich versorgen und kümmern sich aufopferungsvoll um sie. Auch dieses erschütternde Verhalten den eigenen Kindern gegenüber geschieht nicht aus Bosheit oder Sadismus, sondern aus einem inneren Zwang heraus.
Das Münchhausen-Syndrom gehört zu den artifiziellen Störungen. Kennzeichnend ist, dass die Patienten Krankheiten vortäuschen oder künstlich herbeirufen. Im Unterschied zu anderen Personen mit artifizieller Störung haben Patienten mit dem Münchhausen-Syndrom jedoch kein intaktes soziales Umfeld. Im Folgenden lesen Sie weitere Symptome, die typisch für das Münchhausen-Syndrom sind.
Patienten mit dem Münchhausen-Syndrom greifen zu teils drastischen Maßnahmen, um eine medizinische Behandlung zu erhalten. Sie fügen sich Wunden zu, infizieren ihre
Haut
oder verätzen sie mit Flüssigkeiten, bringen sich gezielt in den
Unterzucker
oder zapfen sich selbst
Blut
ab, um eine Blutarmut (Anämie) zu erzeugen.
Sie können zudem organische Probleme wie Magen-Darm- oder Herzbeschwerden so überzeugend darstellen, dass sie von Ärzten sogar operiert werden. Nach der Operation sabotieren sie die Heilung, indem sie beispielsweise
Narben
infizieren. Auch die Einnahme von unnötigen Medikamenten und Drogenmissbrauch nutzen sie zur Schädigung ihres Körpers.
Die Schmerzen, die sich die Betroffenen selbst oder durch unnötige ärztliche Eingriffe zufügen, scheinen ihnen gleichgültig zu sein. Eine Heilung wird sabotiert. Ziel ist immer, eine körperliche Erkrankung zu erzeugen oder aufrechtzuerhalten. In Kliniken fallen Patienten mit dem Münchhausen-Syndrom oft deshalb dadurch auf, dass sie über eine erfolgreiche Behandlung keine Freude zeigen.
Sobald sie in einer Klinik behandelt wurden, brechen Menschen mit dem Münchhausen-Syndrom frühzeitig den Aufenthalt gegen ärztlichen Rat ab und lassen sich in einer anderen Klinik aufnehmen. Auch wenn der behandelnde Arzt Verdacht schöpft, suchen sie sich einen neuen. Das Springen von einem Arzt zum nächsten wird als "Ärztehopping" oder "doctor shopping" bezeichnet. Es führt oft auch dazu, dass die Patienten permanent ihren Aufenthaltsort wechseln. Deshalb und auch weil sie fürchten, mit der Unwahrheit ihrer Geschichten konfrontiert zu werden, haben sie kein soziales Umfeld. Das medizinische Personal ist häufig der einzige Ansprechpartner.
Typisch für das Münchhausen-Syndrom ist das sogenannte pathologische Lügen oder "Pseudologica phantastica". Die Patienten erfinden unkontrolliert und wie aus einem inneren Zwang heraus ständig neue Lügengeschichten für ihre Krankenakte. Ihre Symptome leben sie dabei sehr dramatisch aus.
Hinter dem Münchhausen-Syndrom steht in der Regel eine Persönlichkeitsstörung. Die Patienten stehen in großem Konflikt mit ihrer eigenen Identität und leiden unter starken Selbstwertproblemen. Die erfundenen Geschichten helfen ihnen, immer wieder eine neue Identität aufzubauen, von der sie auch zeitweise selbst überzeugt sind. Sobald Ärzte hinter die Fassade blicken, brechen sie die Beziehung ab, um ihre falsche Identität zu schützen.
Die genauen Ursachen des Münchhausen-Syndroms sind noch unbekannt. Viele Patienten berichten jedoch von traumatischen Erlebnissen in der Kindheit. Das können beispielsweise häufige Verlusterlebnisse, Misshandlungen oder Vernachlässigungen im Kindesalter sein. In manchen Fällen litt bereits ein Elternteil am Münchhausen-Syndrom.
Manche Experten vermuten Lebensmüdigkeit hinter dem Münchhausen-Syndrom. Das ständige selbstschädigende Verhalten ist ein Hinweis auf den Versuch, sich das Leben zu nehmen. Gleichzeitig offenbart es das gestörte Selbstbild. Eine zentrale Rolle spielen auch die oftmals zugrundeliegenden Persönlichkeitsstörungen.
Für die Ärzte ist das Münchhausensyndrom schwer zu erkennen, da die Patienten selten längere Zeit bei einem Arzt bleiben. Die Münchhausen-Patienten spielen die Krankheiten zudem sehr glaubhaft vor, sodass der Arzt zunächst ausführliche Untersuchungen durchführen und selbst erzeugte Verletzungen behandeln wird. Erst nach einiger Zeit oder durch Gespräche mit einem früheren behandelnden Arzt fällt das Münchhausen-Syndrom auf.
Ein Hinweis auf ein Münchhausen-Syndrom ist die Gleichgültigkeit der Patienten gegenüber schmerzhaften oder gefährlichen medizinischen Eingriffen. Auffällig ist auch, dass sich die Symptome laut Patient immer wieder verschlechtern, nachdem sie behandelt worden sind. Wenn sich im Laufe der Behandlung herausstellt, dass die Symptome – ohne ersichtlichen Grund – selbst herbeigeführt werden, wird der Arzt einen Psychiater oder Psychotherapeuten empfehlen.
Nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) müssen folgende Kriterien für die Diagnose "Münchhausen-Syndrom" zutreffen:
Zunächst müssen die zugefügten Verletzungen oder künstlich erzeugten Symptome behandelt werden. Das selbstschädigende Verhalten kann in extremen Fällen sogar lebensgefährlich sein, was rasches ärztliches Handeln erfordert.
Zur eigentlichen Behandlung des Münchhausen-Syndroms ist eine
Psychotherapie
notwendig. Es ist jedoch riskant, die Münchhausen-Patienten auf psychische Probleme anzusprechen. Die meisten erschrecken, wenn ihre Lügen enttarnt werden, und brechen daraufhin den Kontakt ab. Für sie ist es nämlich wichtig, dass ihre Krankengeschichten ernst genommen werden. Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt und Patient ist daher die Grundlage für eine Behandlung. Im besten Fall erklären sich die Münchhausen-Patienten nach einiger Zeit bereit, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. In der Regel verweigern sie eine psychische Behandlung jedoch.
Kann der Patient zu einer Therapie motiviert werden, erfolgt diese oft stationär in einer Klinik. Experten berichten auch von guten Erfolgen mit einem Intervallsetting. Die Patienten bleiben dabei wiederholt längere Zeit in der Klinik und werden dazwischen ambulant betreut.
Patienten mit dem Münchhausen-Syndrom stellen häufig ein ethisches Dilemma für Ärzte dar und bringen juristische Konflikte mit sich. Sie missbrauchen das medizinische System und verursachen enorme Kosten. Es gilt jedoch zu bedenken, dass es sich um eine psychische Problematik handelt. Die Münchhausen-Patienten können mit ihrem krankhaften Verhalten nicht aufhören, da es zwanghaften Charakter hat.
Meist entwickelt sich das Münchhausen-Syndrom im Erwachsenenalter. Der weitere Verlauf der Erkrankung kann sehr unterschiedlich sein. Er ist jedoch immer von unzähligen Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten geprägt und häufig auch von vielen unnötigen Operationen.
Das
Münchhausen-Syndrom
hat nach den bisherigen Erkenntnissen eine schlechte Prognose, da die Patienten in der Regel eine adäquate Behandlung im Rahmen einer Psychotherapie ablehnen. Sobald sie von den Ärzten auf ihre Problematik angesprochen werden, brechen sie die Behandlung ab. Der ständige Arztwechsel erschwert zusätzlich die nötige langfristige Behandlung.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Julia Dobmeier absolviert derzeit ihr Masterstudium in Klinischer Psychologie. Schon seit Beginn ihres Studiums interessiert sie sich besonders für die Behandlung und Erforschung psychischer Erkrankungen. Dabei motiviert sie insbesondere der Gedanke, Betroffenen durch leicht verständliche Wissensvermittlung eine höhere Lebensqualität zu ermöglichen.
Münchhausen-Syndrom
Münchhausen-Syndrom: Beschreibung
Unterscheidung zu Simulanten
Wer ist vom Münchhausen-Syndrom betroffen?
Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom
Münchhausen-Syndrom: Symptome
Selbstschädigendes Verhalten
Fehlender Leidensdruck
Beziehungsabbrüche
Zwanghaftes Lügen
Identitätsstörung
Münchhausen-Syndrom: Ursachen und Risikofaktoren
Münchhausen-Syndrom: Untersuchungen und Diagnose
Münchhausen-Syndrom: Behandlung
Münchhausen-Syndrom: Krankheitsverlauf und Prognose
Autoren- & Quelleninformationen