Illness name: narkolepsie
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Ingrid Müller ist Chemikerin und Medizinjournalistin. Sie war zwölf Jahre Chefredakteurin von NetDoktor.de. Seit März 2014 arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin unter anderem für Focus Gesundheit, das Gesundheitsportal ellviva.de, den Verlag living crossmedia und den Gesundheitschannel von rtv.de.
Narkolepsie ist eine neurologische Erkrankung, bei der Menschen am hellichten Tag von Schlafattacken überfallen werden. Sie nicken beim Reden, Essen, am Schreibtisch oder in der U-Bahn oft völlig unvermittelt ein und sacken plötzlich zusammen. Gerade beim Autofahren oder beim Bedienen von Maschinen führt eine Narkolepsie mitunter zu sehr gefährlichen Situationen. Lesen Sie hier alles zur „Schlafsucht“!
Die Narkolepsie wird im Volksmund auch als „Schlummersucht“ bezeichnet. Medizinisch lässt sie sich in die Gruppe der Schlafsucht (Hypersomnie) einordnen. Mediziner unterscheiden folgende Arten dieser
Schlafkrankheit
:
Die Narkolepsie ist eine seltene neurologische Erkrankung, die nicht heilbar ist. Sie begleitet die betroffenen Menschen ein Leben lang, ist aber nicht lebensbedrohlich.
Experten schätzen die Zahl der Menschen mit einer Narkolepsie in Deutschland auf rund 40.000 – allerdings soll die Dunkelziffer sehr hoch sein. Ein Grund dafür ist, dass bis zur richtigen Diagnose „Narkolepsie“ oft mehrere Jahre vergehen.
Bei Menschen mit Hypersomnie ist jener Teil des Gehirns gestört, der den Schlaf-Wach-Rhythmus steuert. Typisch für die Narkolepsie ist, dass die Patienten plötzlich sowie unkontrolliert und in den unmöglichsten Situationen einschlafen, zum Beispiel mitten im Gespräch oder im Sitzen beim Essen.
Bei vielen Narkolepsie-Patienten kommt zu den Schlafattacken noch eine Kataplexie hinzu. Hier geht die Kontrolle über den Muskeltonus verloren und die Muskeln erschlaffen schlagartig – die Patienten sacken plötzlich zusammen, sind aber bei vollem Bewusstsein.
Folgende Symptome sind für die Narkolepsie typisch und müssen länger als sechs Monate aufgetreten sein, um die Diagnose Narkolepsie zu stellen:
Dies ist das Hauptsymptom bei der Narkolepsie und tritt bei allen Betroffenen auf. Bestimmte Situationen, die manchmal auch Gesunden die Augen zufallen lassen, lösen bei Narkoleptikern ein unwiderstehliches Schlafbedürfnis aus. Ein Beispiel ist Dämmerlicht: Veranstaltungen in abgedunkelten Räumen (Vorträge, Konferenzen, Kino et cetera) werden zur Tortur beziehungsweise sind ganz unmöglich.
Besonders kritisch sind zudem langweilige, monotone und gleichförmige Situationen. Schläfrig macht auch Inaktivität, zum Beispiel beim langen Sitzen oder Zuhören. Es ist zwar möglich, den Narkoleptiker aufzuwecken. Hat er aber nicht genug geschlafen, fällt er sofort wieder in den Schlaf.
Werden Narkoleptiker von extremer Schläfrigkeit übermannt, wird ihr Gang unsicher (sie schwanken oder torkeln), die Aussprache wird undeutlich (sie lallen zum Teil), und sie bekommen einen glasigen und tranigen Blick.
Auf Außenstehende wirkt es oft so, als sei der Narkoleptiker alkoholisiert. Deshalb hat das Umfeld oft wenig Verständnis für Menschen mit Narkolepsie.
Bei 80 bis 90 Prozent der Betroffenen kommt zur Narkolepsie noch eine Kataplexie hinzu – sie ist das zweite Hauptsymptom. Die Muskeln erschlaffen plötzlich, weil die Kontrolle über die Muskelspannung (Muskeltonus) verloren geht. Das Bewusstsein ist zwar nicht eingetrübt, aber der Patient ist nicht in der Lage, mit seinen Mitmenschen zu kommunizieren.
Die Patienten erinnern sich meistens vollständig an alles, was während der Kataplexie passiert ist. Typische Auslöser der Muskelerschlaffung sind heftige Gefühlsregungen wie zum Beispiel Lachen, Freude, Überraschung, Erschrecken oder Furcht.
Eine Kataplexie dauert meist nur wenige Sekunden. Betrifft sie die gesamte Muskulatur, sinkt der Narkoleptiker in sich zusammen oder fällt sogar hin. Leichtere Kataplexien dagegen betreffen oft nur einzelne Muskelpartien.
Der Narkoleptiker lässt Gegenstände herunterfallen, weil die Muskelspannung der Hände oder Arme fehlt. Er kann auch „verwaschen“ und undeutlich sprechen, wenn die Gesichts- und Kiefermuskulatur betroffen ist.
Dieses Symptom betrifft rund 50 Prozent der Narkoleptiker. Es zeigt sich meist nicht gleich am Anfang der Narkolepsie, sondern entwickelt sich schleichend im Verlauf der Krankheit. Die Patienten wachen nachts oft auf oder liegen lange wach im Bett. Außerdem ist der Schlaf relativ leicht und wenig erholsam – morgens sind die Patienten häufig müde.
Manche Patienten mit Narkolepsie verspüren im Bett einen Bewegungsdrang (motorische Unruhe) und leiden unter Albträumen. Manche schlafwandeln oder sprechen im Schlaf. Dies ist oft auch für die Partner eine Herausforderung.
Schlaflähmungen treten bei rund 50 Prozent der Narkolepsie-Patienten auf. Hier sind die Patienten beim Übergang vom Wachzustand zum Schlafen (beziehungsweise umgekehrt) nicht fähig, sich zu bewegen oder zu sprechen. Schlaflähmungen dauern Sekunden bis einige Minuten und lösen extreme Ängste aus.
Sie enden meist spontan, beispielsweise aber auch, wenn Angehörige die Betroffenen laut anreden oder berühren.
Bis zu 50 Prozent der Patienten haben
Halluzinationen
. Die Sinnestäuschungen treten ebenfalls beim Übergang vom Wachzustand zum Schlafen (hypnagoge Halluzinationen) oder umgekehrt beim Aufwachen (hypnopompe Halluzinationen) auf. Meist dauern sie wenige Minuten. Die Inhalte der Halluzinationen sind ganz unterschiedlich und oft ziemlich realitätsnah.
Sogenanntes automatisches Verhalten tritt zum Beispiel auf, wenn der Betroffene sehr müde ist und versucht, dem Schlafdruck nicht nachzugeben. Er führt begonnene Handlungen einfach weiter aus – das führt mitunter zu gefährlichen Situationen. So überquert ein Narkoleptiker beispielsweise eine Straße bei roter Ampel und achtet nicht auf den Verkehr.
Im Zustand des automatischen Verhaltens registriert der Patient seine Umwelt und entsprechend gefährliche Situationen nicht mehr. Gefahrensituationen gibt es auch im Haushalt, etwa wenn Menschen mit Narkolepsie mit Messern hantieren oder auf eine Leiter steigen. Verletzungen sind keine Seltenheit. An die Zeit des automatisierten Verhaltens erinnert sich der Narkoleptiker meist nicht.
Neben den genannten Symptomen treten manchmal weitere Begleiterscheinungen der Narkolepsie auf. Dazu gehören beispielsweise
Kopfschmerzen
oder
Migräne
, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen sowie Unfälle. Darüber hinaus kommt es bei den Betroffenen mitunter zu Depressionen, Potenzstörungen und Veränderungen der Persönlichkeit.
Die Ursachen der Narkolepsie sind noch unklar (idiopathische Hypersomnie). Mediziner diskutieren, dass die Narkolepsie eine Autoimmunerkrankung ist – hier richtet sich die Immunabwehr gegen körpereigene Strukturen. Auch infektiöse Auslöser wie Influenzaviren oder Streptokokken spielen möglicherweise eine Rolle.
Viele Patienten mit Narkolepsie besitzen geringere Mengen an Hypocretin/Orexin in der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit. Dabei handelt es sich um sogenannte Neuropeptidhormone. Diese werden im
Zwischenhirn
(Hypothalamus) gebildet und beeinflussen beispielsweise das Essverhalten sowie den Schlafrhythmus.
Bei fast allen Narkoleptikern (98 Prozent) verläuft außerdem der genetische Test auf HLA DRB1*1501 und HLA DQB1*0602 positiv. HLA steht für das humane Leukozyten-Antigen-System (HLA-System). Es ist eine Gruppe menschlicher Gene, die für die Funktion des Immunsystems wichtig sind.
Für die Diagnose von Narkolepsie sind diese Genorte (Allele) allerdings nicht spezifisch, da sie auch bei 25 bis 35 Prozent der Normalbevölkerung nachweisbar sind. Zur alleinigen Diagnose reicht dieser Gentest deshalb nicht aus.
Die Narkolepsie gehört in die Hände von Spezialisten. Sie sollte in einem
Schlaflabor
beziehungsweise von einem erfahrenen Neurologen oder Schlafmediziner (Somnologen) diagnostiziert werden.
Zunächst wird der Arzt Sie zu Ihrer Krankengeschichte befragen (
Anamnese
). Wichtig zu wissen ist für ihn auch, welche Beschwerden Sie genau haben. Im Vordergrund stehen die Symptome Tagesschläfrigkeit und Kataplexie. Hier geben häufig auch nahestehende Personen und Familienmitglieder Auskunft.
Es gibt verschiedene Schlaffragebögen und -tagebücher. Wichtig sind unter anderem der Epworth-Sleepiness-Score (ESS), Stanford Narcolepsy Questionnaire, Ullanlinna Narcolepsy Score (UNS) und der Swiss Narcolepsy Score (SNS). Sie erfassen subjektiv, wie gut die Schlafqualität ist und welche Schlafprobleme es gibt.
Bei dieser Methode überwachen Schlafmediziner nachts kontinuierlich unterschiedliche Körperfunktionen. In der Regel wird die Polysomnografie in einem Schlaflabor durchgeführt. Zur Messung der Biosignale werden Elektroden auf der
Haut
aufgeklebt.
Aufgezeichnet werden die Hirnkurven, Muskelaktivität, Herzfunktion und Augenbewegungen während des Schlafs. Mithilfe dieser Daten lassen sich ein individuelles Schlafprofil erstellen und eventuelle
Schlafstörungen
diagnostizieren.
Der Patient soll vier- bis fünfmal im Abstand von zwei Stunden einen etwa 20-minütigen Kurzschlaf halten. Mit diesem Test lässt sich die Einschlafneigung und das verfrühte Auftreten von REM-Schlaf (SOREM) testen. Für die Narkolepsie ist es typisch, dass die Schlaflatenz sehr kurz ist.
Viele Patienten zeigen zwei oder mehr SOREM-Phasen im MSLT.
Bei manchen Patienten bestimmt der Arzt die Hypocretin-/Orexin-Spiegel im
Liquor
. Daneben erfolgt in einigen Fällen eine genetische HLA-Typisierung (HLA DRB1*1501 und HLA DQB1*0602 mittels Mundabstrich oder Blutentnahme). Besteht der Verdacht auf eine sekundäre Narkolepsie, lässt der untersuchende Arzt Aufnahmen des Gehirns anfertigen.
Narkolepsie ist nicht heilbar. Es gibt aber eine Therapie, mit der sich Symptome bis zu einem gewissen Grad verbessern lassen. Dafür werden bestimmte Medikamente eingesetzt.
Die Tagesschläfrigkeit lässt sich mit Stimulanzien behandeln. Die Mittel der ersten Wahl sind die Wirkstoffe
Modafinil
oder Natrium-Oxybat (Gamma-Hydroxybuttersäure). Auch das ADHS-Medikament
Methylphenidat
hilft einigen Patienten.
Medikamente der zweiten Reihe sind die Wirkstoffe Ephedrin, Dextroamphetamin und manchmal Monoaminooxidase-Hemmer (kurz MAO-Hemmer genannt), die für die Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Diese sind nicht für die Narkolepsie zugelassen. Werden sie gegen Narkolepsie eingesetzt, sprechen Mediziner von einem „
Off-Label-Use
“.
Die Medikamente müssen meist dauerhaft eingenommen werden, einige unterliegen dem Betäubungsmittelgesetz (BtmG). Wichtig ist, dass Patienten sich regelmäßig zur Kontrolle von einem Arzt untersuchen lassen. Andere Symptome wie Kataplexien, Schlaflähmungen und Halluzinationen werden mit Natrium-Oxybat oder Antidepressiva behandelt.
Bei Narkolepsie hilft manchen Patienten auch eine nicht-medikamentöse Behandlung. Folgende Maßnahmen sind dafür geeignet:
Die Narkolepsie ist ein lebenslanger Begleiter. Erlernen Sie deshalb Strategien für eine bessere Akzeptanz und den Umgang mit Narkolepsie.
Die Narkolepsie tritt grundsätzlich in jedem Alter erstmals auf. Allerdings haben Forscher zwei Häufigkeitsgipfel ausgemacht: in der zweiten Dekade zwischen dem 15. und 25. sowie in der vierten Dekade zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr. Bei rund 20 Prozent der Betroffenen zeigt sich die Krankheit sogar schon in den ersten zehn Lebensjahren.
Bei einigen Patienten beginnt eine Narkolepsie schleichend, bei anderen wiederum schlagartig mit allen Symptomen. Wie schwer die Erkrankung verläuft, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich.
Die Lebensqualität von Narkolepsie-Patienten ist oft sehr eingeschränkt. Viele sind aufgrund der Hypersomnie nicht in der Lage, einen Beruf auszuüben. Je mehr Erfahrung die Betroffenen aber mit der Narkolepsie haben, desto besser lernen sie, damit umzugehen.
Die zugrundeliegende Ursache einer Narkolepsie ist bislang nicht vollständig geklärt. Es ist daher nicht möglich, dem Sekundenschlaf bei dieser Krankheit vorzubeugen. Durch das plötzliche kurze Einschlafen entstehen immer wieder gefährliche Situationen im Alltag. Deshalb ist es wichtig, erste Anzeichen für eine Narkolepsie wie eine starke
Müdigkeit
abklären zu lassen. Das hilft, Unfälle zu vermeiden.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Ingrid Müller ist Chemikerin und Medizinjournalistin. Sie war zwölf Jahre Chefredakteurin von NetDoktor.de. Seit März 2014 arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin unter anderem für Focus Gesundheit, das Gesundheitsportal ellviva.de, den Verlag living crossmedia und den Gesundheitschannel von rtv.de.
Narkolepsie
Kurzübersicht
Was ist Narkolepsie?
Was sind die Symptome bei einer Narkolepsie?
Extreme Tagesschläfrigkeit und heftiger Schlafdrang
Kataplexie
Gestörter Nachtschlaf
Schlaflähmungen
Halluzinationen
Automatisches Verhalten
Begleiterscheinungen
Was sind die Ursachen für Narkolepsie?
Wie stellt man eine Narkolepsie fest?
Schlaffragebögen und Schlaftagebücher
Polysomnografie
Multipler Schlaflatenztest (MSLT)
Weitere Methoden
Behandlung
Behandlung mit Medikamenten
Nicht-medikamentöse Therapie
Krankheitsverlauf und Prognose
Vorbeugung
Autoren- & Quelleninformationen