Illness name: medikamenteninduzierter kopfschmerz
Description:
Sophie Matzik ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz
ist eine Form des Kopfschmerzes, die durch übermäßigen Gebrauch von Schmerzmitteln entsteht. Der Kern der Therapie besteht darin, die auslösenden Medikamente abzusetzen. Nach einem erfolgreichen Entzug haben Betroffene die Chance, schmerzfrei zu bleiben. Hier finden Sie alle wichtigen Informationen zum medikamenteninduzierten Kopfschmerz.
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz (MIKS oder englisch: Medication Overuse Headache, MOH) entsteht, wenn Menschen über einen längeren Zeitraum Schmerzmittel einnehmen. Auslöser dafür sind paradoxerweise meist
primäre
Kopfschmerzen
– also
Migräne
oder Spannungskopfschmerzen.
Anders als diese ist medikamenteninduzierter Kopfschmerz auf eine konkrete Ursache zurückzuführen. Ärzte zählen ihn daher zu den
sekundären Kopfschmerzformen
.
Das Phänomen ist häufiger, als viele annehmen: Weltweit leiden geschätzt 63 Millionen Menschen unter einem medikamenteninduzierten Kopfschmerz. Frauen sind deutlich häufiger davon betroffen als Männer.
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz ist keine Krankheit im eigentlichen Sinne. Er ist vielmehr die Folge einer fehlerhaften (also zu häufigen und/oder zu hoch dosierten) Medikamenteneinnahme.
Mediziner unterscheiden zwei Formen:
akuten
und
chronischen
medikamenteninduzierten Kopfschmerz. Die akute Variante zeigt sich, nachdem der Betroffene ein bestimmtes Medikament eingenommen hat, binnen weniger Stunden als "Nebenwirkung". Typisch ist ein pulsierender, migräneartiger Kopfschmerz im Bereich von Stirn und Schläfen. Die Beschwerden verstärken sich durch körperliche Aktivität.
Wenn Ärzte von "medikamenteninduziertem Kopfschmerz" sprechen, meinen sie damit in der Regel die chronische Form. Diese macht sich durch ein dumpfes, drückendes Gefühl im Kopf bemerkbar. Bei Migränepatienten vermischen sich teils die Symptome von Migräne- und Spannungskopfschmerz. Meist beginnen die Schmerzen bereits beim Aufstehen und sind über den ganzen Tag präsent (Dauerkopfschmerz).
Ein chronischer medikamenteninduzierter Kopfschmerz tritt an mindestens 15 Tagen im Monat auf. Viele Betroffene fühlen sich während der Kopfschmerzphasen gereizt und abgeschlagen. Oft haben sie Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, oder berichten von
Schlafstörungen
.
Bei Patienten, die aufgrund einer bestehenden Migräne übermäßig viele Schmerzmittel einnehmen, treten oft auch weiterhin Migräne-Attacken auf. Diese gehen manchmal mit Übelkeit und Erbrechen einher. Viele sind in dieser Zeit besonders licht- und lärmempfindlich. Oft wechseln sich die Migräneattacken mit einem drückenden Dauerkopfschmerz ab.
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz und chronische Spannungskopfschmerzen sind aufgrund der ähnlichen Beschwerden schwierig zu unterscheiden. Der bedeutendste Unterschied besteht darin, dass ein medikamenteninduzierter Kopfschmerz immer durch den übermäßigen Gebrauch von Schmerzmitteln entsteht.
Da medikamenteninduzierter Kopfschmerz durch Schmerzmedikamente entsteht, ist die wichtigste Therapiemaßnahme, die auslösenden Arzneimittel abzusetzen (Medikamentenentzug). Es handelt sich dabei nicht um einen Entzug im psychiatrischen Sinne, wie er beispielsweise bei einer Rauschmittelabhängigkeit erfolgt. Mit Ausnahme der Opioide entsteht durch die Schmerzmittel keine klassische körperliche Abhängigkeit.
Dennoch kommt es durch das Absetzen zu mehr oder weniger starken
Entzugserscheinungen
. Daher ist es wichtig, dass ein Arzt den Prozess begleitet und die Entzugserscheinungen bei Bedarf behandelt; sonst steigt das Risiko für einen Rückfall. Da sowohl der medikamenteninduzierte Kopfschmerz als auch der Entzug psychisch sehr belastend sind, ist zusätzlich eine psychotherapeutische Begleitung sinnvoll.
Ein Medikamentenentzug ist ambulant, teilstationär (in einer Tagesklinik) oder stationär möglich. Manche Medikamente lassen sich unter Umständen nicht sofort absetzen; dazu gehören Opioide, Benzodiazepine oder Barbiturate. Das heißt, dass die Dosis schrittweise reduziert wird, um Komplikationen zu vermeiden. Triptane, Ergotamine und alle anderen Schmerzmittel lassen sich hingegen abrupt absetzen.
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz wird unter bestimmten Voraussetzungen im
ambulanten Entzug
durchgeführt. Das bedeutet, dass Betroffene den Entzug zu Hause machen, wobei ein Arzt oder ein spezialisierter Schmerztherapeut sie begleitet.
Der Prozess verlangt den Patienten viel Selbstdisziplin ab und ist nicht einfach. Daher erfordert der ambulante Entzug gewisse Voraussetzungen:
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz lässt sich alternativ im Rahmen eines
stationären Entzugs
behandeln. Dieser erfolgt in einer spezialisierten Kopfschmerzklinik. Betroffene bleiben hier für mehrere Tage und führen den Entzug mit ärztlicher Begleitung durch. Hier lernen sie verschiedene Möglichkeiten der alternativen Schmerzbehandlung kennen, zum Beispiel Stressbewältigungstraining oder progressive Muskelentspannung.
Ein stationärer Entzug ist ratsam, wenn eines oder mehrere der folgenden Merkmale zutreffen:
Während des Entzugs ist es wichtig, dass die Betroffenen auf das auslösende Schmerzmittel vollkommen verzichten. Dadurch entwickeln sich bei manchen Patienten Entzugsbeschwerden, vor allem in den ersten zwei bis sechs Tagen. Meist steigern sich zunächst die Kopfschmerzen. Außerdem treten häufig Symptome wie Übelkeit, Blutdruckanstieg,
Herzrasen
, Angst, Nervosität und Schlafstörungen auf.
Im Rahmen einer stationären Therapie lassen sich die Entzugserscheinungen des medikamenteninduzierten Kopfschmerzes gut behandeln, zum Beispiel über Infusionen. Durch die ständige Überwachung haben viele Betroffene außerdem mehr Vertrauen und führen den Entzug (auch zwangsläufig) konsequenter durch. Das ist ambulant schwieriger. Die Quote derer, die nach einem stationären Entzug rückfällig werden, ist etwas geringer als bei einem ambulanten Entzug.
In der Regel hat ein primärer Kopfschmerz (Migräne, Spannungskopfschmerz) ursprünglich zur übermäßigen Medikamenteneinnahme geführt. Um diesem im Anschluss an den Entzug zu begegnen, ist eine spezielle medikamentöse Prophylaxe sinnvoll.
Bei Migränepatienten mit medikamenteninduziertem Kopfschmerz hat sich in Studien der Wirkstoff
Topiramat
als hilfreich erwiesen. Bei einem ursprünglichen Spannungskopfschmerz kommt meist
Amitriptylin
zum Einsatz. Die zur Prophylaxe eingesetzten Arzneimittel haben in der Regel keinen Suchtfaktor.
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz wird durch verschiedene Medikamente hervorgerufen. Dabei lässt sich zwischen zwei Arten von Arzneimitteln unterschieden:
Zahlreiche Schmerzmittel sind ohne Rezept in der Apotheke erhältlich. Daher ist vielen gar nicht bewusst, dass sie potenziell schädlich sind. Ursache für den übermäßigen Gebrauch von Schmerzmitteln ist bei den meisten Betroffenen die Angst vor erneuten Schmerzen. So nehmen sie immer wieder vorsichtshalber Medikamente ein, wodurch sich schleichend ein medikamenteninduzierter Kopfschmerz entwickelt.
Prinzipiell kommen alle Schmerzmittel und dabei insbesondere Medikamente gegen Migräne (Triptane, Ergotamine) als Auslöser infrage. Dabei spielt maßgeblich eine Rolle, wie häufig die Betroffenen die Wirkstoffe einnehmen. Beispiele für solche Arzneimittel sind:
Der Hintergrund: Wer über einen längeren Zeitraum Schmerzmittel einnimmt, riskiert damit, dass der Gehirnstoffwechsel sich verändert. Es lassen sich bei Patienten mit medikamenteninduziertem Kopfschmerz sogar strukturelle Veränderungen im
Gehirn
nachweisen (zum Beispiel vermehrt sich das Volumen im sogenannten periaquäduktalen Grau).
Durch die stetige Medikamentenzufuhr kommt es zu Gewöhnungs- und Erschöpfungsprozessen im Gehirn, durch die die Schwelle der Schmerzwahrnehmung sinkt. Das heißt, Betroffene empfinden Beschwerden, die das Gehirn zuvor als normal wahrgenommen hat, als schmerzhaft. Bekämpfen sie diesen (Kopf-)Schmerz erneut mit Medikamenten, verringert sich die Schwelle weiter: Es entsteht ein Teufelskreis.
Es gibt mehrere Risikofaktoren, welche die Wahrscheinlichkeit für Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen steigern. Dazu zählen:
Häufig wird medikamenteninduzierter Kopfschmerz erst nach mehreren Monaten oder Jahren als solcher erkannt. Viele Betroffene wissen nicht, dass ihre Beschwerden auf die Schmerzmittel zurückzuführen sind, und ziehen diese auch nicht als Auslöser in Betracht.
Für die richtige Diagnose ist es demnach im ersten Schritt wichtig, dass Sie sich selbst genau beobachten. Nehmen Sie an mehr als zehn Tagen im Monat und häufig an mehr als drei Tagen hintereinander Schmerzmittel? Dann empfiehlt es sich, dass Sie mit einem Arzt darüber sprechen.
Der erste Ansprechpartner bei Verdacht auf medikamenteninduzierten Kopfschmerz ist in der Regel der
Hausarzt
. Besonders geeignet sind auch ein Facharzt für Neurologie oder ein Arzt mit der Zusatzbezeichnung "spezielle Schmerztherapie". Der Arzt wird Ihnen beim
Anamnesegespräch
Fragen zu den aktuellen Beschwerden und eventuellen Vorerkrankungen stellen.
Hier ist es hilfreich, wenn Sie den Grund für den Schmerzmittelgebrauch genau schildern. Auch genaue Angaben darüber, wie häufig sie diese einnehmen, sind wichtig. Hilfreich ist es, wenn Sie vor dem Arztbesuch eine Liste erstellen, auf der sie alle eingenommenen Medikamente für den Arzt notieren. Für eine Diagnose wird er Fragen stellen wie:
Nach der Anamnese folgt eine
neurologische Untersuchung
. Dabei tastet der Mediziner die Muskulatur im Bereich von Schulter, Hals und Kopf ab. Wenn die Muskeln an diesen Stellen offensichtlich verspannt sind, ist dies möglicherweise ein Hinweis auf Spannungskopfschmerzen. Außerdem misst der Arzt Ihren
Blutdruck
und nimmt gegebenenfalls
Blut
ab, um Auffälligkeiten (zum Beispiel erhöhte Entzündungswerte) nicht zu übersehen.
Bei anhaltenden Kopfschmerzen mit unklarer Ursache sind weiterführende Untersuchungen nötig. Dazu gehören zum Beispiel bildgebende Verfahren wie die
Computertomografie
(CT) oder die Magnetresonanztomografie (MRT), mit denen sich Strukturen des Gehirns darstellen lassen. Außerdem sind manchmal spezielle Verfahren, wie beispielsweise die Analyse des Nervenwassers (Liquorpunktion) und die Aufzeichnung der Gehirnströme (Elektroenzephalogramm,
EEG
), notwendig.
Um die Diagnose medikamenteninduzierter Kopfschmerz zu stellen, stützt sich der Arzt gegebenenfalls auf die von der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (International Headache Society, IHS) erarbeiteten
Diagnosekriterien
:
Das bedeutet auch: Ganz sicher lässt sich die Diagnose erst nach einem Medikamentenentzug stellen. Nehmen die Kopfschmerzen danach merklich ab, so lag sehr wahrscheinlich ein medikamenteninduzierter Kopfschmerz vor. Einem erfahrenen Arzt ist es aber meist bereits im Vorfeld möglich, einzuschätzen, wie stark die Medikamente selbst am Kopfschmerz beteiligt sind.
Eine genaue Prognose ist bei dieser Art des Kopfschmerzes schwierig zu treffen, da das eigene Verhalten eine entscheidende Rolle spielt. Der Schmerzmittelentzug ist entfernt vergleichbar mit einem Drogenentzug: Es hängt davon ab, ob der Betroffene es schafft, dauerhaft darauf zu verzichten.
Wenn Sie unter chronischen Schmerzen leiden und häufig zu Schmerzmitteln greifen, ist es ratsam, sich von einem auf Schmerzen spezialisierten Arzt beraten zu lassen. So lässt sich ein medikamenteninduzierter Kopfschmerz auf Dauer verhindern.
Derzeit gibt es keine genauen Angaben dazu, wie viele Menschen mit medikamenteninduziertem Kopfschmerz infolge der Therapie dauerhaft symptomfrei bleiben. Nach einem Jahr nehmen etwa 50 bis 70 Prozent der Behandelten die auslösenden Medikamente nicht mehr ein. Bei längeren Beobachtungen steigt die Rückfallquote etwas; die meisten Rückfälle treten jedoch innerhalb des ersten Behandlungsjahres auf.
Eine erneute Einnahme von Schmerzmitteln bedeutet oft schnell wieder: Medikamenteninduzierter Kopfschmerz. Die Zeit, bis die Beschwerden dann wieder einsetzen, verkürzt sich dabei mit jedem Mal.
Bestimmte Faktoren beeinflussen, wie wahrscheinlich es zu einem Rückfall kommt. Günstigere Prognosen haben demnach Betroffene, bei denen medikamenteninduzierter Kopfschmerz für weniger als fünf Jahre bestand. Auch Patienten, die nur ein Präparat und nicht mehrere zugleich eingenommen haben, bleiben häufiger dauerhaft symptomfrei.
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz ist nicht die einzige Folge eines fehlerhaften Schmerzmittelgebrauchs. Bei manchem Betroffenen kommt es beispielsweise zu Nierenschäden, Magengeschwüren oder Tumoren der ableitenden Harnwege. Außerdem leiden viele an depressiven Symptomen. Diese Symptome bessern sich nach Absetzen der Schmerzmittel wieder.
Wichtig zu wissen ist, dass nahezu alle Schmerzmittel, die Sie zu häufig einnehmen, mögliche Auslöser für einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz sind. Am besten beugen Sie dieser Art des Kopfschmerzes vor, indem Sie Ihre eigene Medikamenteneinnahme genau im Blick behalten.
Grundsätzlich gilt die Empfehlung, nicht an mehr als
zehn Tagen pro Monat
und nicht an mehr als
drei Tagen hintereinander
Schmerzmittel einzunehmen. Bei starken Schmerzen ist ein Verzicht nicht notwendig. Für leichtere Schmerzen empfehlen sich jedoch nicht-medikamentöse Methoden, um das Risiko für einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz zu verringern.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Sophie Matzik ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion.
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz
Kurzübersicht
Was ist medikamenteninduzierter Kopfschmerz?
Wie äußert sich ein medikamenteninduzierter Kopfschmerz?
Wie wird ein medikamenteninduzierter Kopfschmerz therapiert?
Medikamentenentzug
Behandlung der Entzugserscheinungen
Kopfschmerzprophylaxe
Ursachen und Risikofaktoren
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz als Folge von Schmerzmitteln
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz: Risikofaktoren
Untersuchungen und Diagnose
Medikamenteninduzierter Kopfschmerz: Diagnosestellung
Krankheitsverlauf und Prognose
Viele Rückfälle
Körperliche Folgen von übermäßigem Schmerzmittelgebrauch
Sparsamer Medikamentengebrauch empfehlenswert
Autoren- & Quelleninformationen