Illness name: kreidezaehne
Description:
Sabrina Kempe ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie hat Biologie studiert und sich dabei besonders in die Molekularbiologie, Humangenetik und Pharmakologie vertieft. Nach ihrer Ausbildung zur Medizinredakteurin in einem renommierten Fachverlag hat sie Fachzeitschriften und eine Patientenzeitschrift betreut. Jetzt verfasst sie Beiträge zu Medizin- und Wissenschaftsthemen für Experten und Laien und redigiert wissenschaftliche Fachbeiträge von Ärzten.
Kreidezähne sind Zähne von Kindern und Jugendlichen mit einem Zahnschmelzdefekt. Dieser führt dazu, dass diese Zähne an scharf abgegrenzten Stellen verfärbt, weniger hart und brüchig wie Kreide sind. Diese sogenannte Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) macht die Zähne überempfindlich. Kauen und Zähneputzen sind erschwert, was wiederum Karieserkrankungen fördert. Woran Sie Kreidezähne erkennen, wie diese entstehen und was der Zahnarzt tun kann, erfahren Sie hier!
Der Zahnschmelz umgibt schützend das Zahnbein und ist normalerweise die härteste Substanz des menschlichen Körpers. In Kreidezähnen ist der befallene Schmelz allerdings aufgeweicht. Denn er enthält zu wenig vom zahnschmelzhärtenden Mineral Hydroxylapatit sowie zu viel Wasser und Protein. Dieser minder- oder hypomineralisierte Zahnschmelz verfärbt sich und bricht im schlimmsten Fall ein. Zudem können
Bakterien
im
Mund
leichter durch den mindermineralisierten Schmelz ins Innere des Zahns gelangen. Sie lösen dort eine Entzündung aus, die wahrscheinlich die kaputten Zähne der Kinder überempfindlich auf äußere Reize reagieren lässt.
Zuerst aufgefallen sind diese Kreidezähne in den letzten Jahren bei Kindern im Vor- und Grundschulalter. Meist mit dem sechsten Lebensjahr beginnen die
Milchzähne
auszufallen und werden durch die bleibenden Zähne ersetzt. Bei immer mehr Kindern sind der erste bleibende Backenzahn (Sechsjahrmolar genannt) und die ersten bleibenden Schneidezähne (Inzisiven) bereits brüchig und verfärbt, wenn sie sich aus dem Kiefer durch das Zahnfleisch schieben. Deshalb wird die Erkrankung seit dem Jahr 2003 als
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH)
bezeichnet.
Mittlerweile hat sich aber gezeigt, dass sich die Erkrankung nicht nur auf die ersten Molaren und Inzisiven beschränkt – alle bleibenden Zähne können betroffen sein. Sogar Milchzähne können bereits als Kreidezähne durchs Zahnfleisch treten. Dies wird dann
Milchmolaren-Hypomineralisation (MMH)
genannt.
Kreidezähne werden von Experten als neue Volkskrankheit bezeichnet. Sie kommen weltweit vor, in Europa vergleichbar häufig wie in Deutschland. Die Angaben zur Häufigkeit schwanken. Durchschnittlich leidet in Deutschland aber wohl fast jedes zehnte Kind (10 bis 15 Prozent) an diesem Zahnschmelzdefekt. In der Fünften Deutschen Gesundheitsstudie fand sich bei fast jedem vierten 12-Jährigen (28,7 Prozent) mindestens ein bleibender Backenzahn, der von MIH betroffen war. Damit sind Kreidezähne in dieser Altersgruppe häufiger als
Karies
.
Jedoch hatten von den betroffenen 12-Jährigen nur wenige eine schwere MIH mit großflächigen Schmelzeinbrüchen. Bei den meisten Kindern war die Erkrankung nur gering ausgeprägt.
Schwedische Wissenschaftler haben Kreidezähne erstmals 1987 als eigenständiges Krankheitsbild beschrieben. Ob MIH allerdings wirklich eine neue Erkrankung ist, die nun immer häufiger auftritt, ist noch unklar. Die Experten vermuten, dass Karieserkrankungen und deren Behandlung bisher die Symptome der Kreidezähne überdeckt haben könnten. Da Karies seit Jahren zurückgeht, fallen die Kreidezähne nun deutlicher auf.
Die Ursachen für Kreidezähne sind noch ungeklärt. Einig ist sich die Fachwelt nur darüber, dass bei den Betroffenen die Funktion der zahnschmelzbildenden Zellen, der Ameloblasten, gestört sein muss. Damit läuft die Zahnschmelzbildung (Amelogenese) nicht richtig ab.
Bereits während der Schwangerschaft werden die Zähne im Kiefer des ungeborenen Kindes angelegt. Für den Zahnschmelz produzieren die Ameloblasten bestimmte Proteine, die eine Grundstruktur für den Zahnschmelz bilden. Diese Proteine lagern Salze ein und mineralisieren zu Hydroxylapatit – einem Mineral, das aus
Kalzium
und
Phosphat
besteht. Es dauert bis zum vierten Lebensjahr, bis sich der Zahnschmelz aller bleibenden Zähne im Kiefer fertig gebildet hat. Dann stellen die Ameloblasten ihre Funktion ein und gehen verloren. Sie können den Zahnschmelz dann also auch nicht mehr reparieren.
Warum bei manchen Kindern die Ameloblasten nicht richtig arbeiten und so zu Kreidezähnen führen, ist noch unklar. Wahrscheinlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Welche das sein könnten, dazu gibt es bislang nur Vermutungen. So diskutieren Wissenschaftler über folgende Faktoren als mögliche Auslöser von Kreidezähnen:
*Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hält einen Zusammenhang zwischen Bisphenol A und Kreidezähnen nach derzeitigem Stand des Wissens für unwahrscheinlich.
Zeigen die Milchzähne oder ersten bleibenden Zähne Ihres Kindes folgende Symptome, könnte es sich um Anzeichen für den Zahnschmelzdefekt handeln:
Solche Symptome sollten Sie frühzeitig vom Zahnarzt abklären lassen.
Der Zahnarzt muss zuerst herausfinden, ob Ihr Kind tatsächlich Kreidezähne hat. Denn es gibt noch weitere Gründe, warum der Zahnschmelz zu gering mineralisiert sein kann. Dazu gehören:
Ebenso muss der Zahnarzt Kreidezähne von Zähnen abgrenzen, die durch einen Sturz auf den Zahn oder durch Kariesbakterien angegriffen sind. Die genaue Diagnose ist entscheidend für die richtige Behandlung!
Hat Ihr Kind tatsächlich Kreidezähne, schaut der Zahnarzt, wie schwer sie ausgeprägt sind. Oft treten milde Formen auf, bei denen die Zähne lediglich verfärbt sind. Es gibt aber auch Fälle, bei denen ganze Teile des Zahnschmelzes fehlen oder abgesplittert sind.
Die Klassifizierung einer Würzburger Expertengruppe, der "MIH-Treatment Need Index", hilft den Zahnärzten dabei, die Kreidezähne in vier Schweregrade (Indizes) einzuteilen. Entscheidend dabei ist, ob eine Überempfindlichkeit (Hypersensibilität) und/oder ein Zahnschmelzverlust (Substanzdefekt) vorhanden sind:
Schwere Fälle von Kreidezähnen gelten als Schmerz-Notfall. Der Zahnarzt sollte Ihr Kind also umgehend behandeln- nehmen Sie keine langen Wartezeiten in Kauf!
Kreidezähne sind anfälliger für Kariesbakterien als normal ausgebildete Zähne, weil:
Deshalb ist das Hauptziel der Behandlung, die Zähne vor Karies zu schützen. Außerdem sollen bleibende Zähne möglichst lebenslang erhalten bleiben und weniger empfindlich gegenüber Berührung und Temperaturreize werden.
Bislang gibt es noch keine einheitlichen Therapiestandards für Kreidezähne. Einen Leitfaden bietet allerdings das Würzburger MIH-Konzept. Dabei richtet der Zahnarzt seine Behandlung danach aus, wie ausgeprägt die Kreidezähne sind:
In jedem Fall wird der Zahnarzt die betroffenen Zähne mithilfe einer Intensivprophylaxe vor allem vor Karies bewahren. Dafür trägt er alle drei bis sechs Monate bis zu viermal im Jahr einen hoch konzentrierten Fluoridlack auf die betroffenen Zähne auf.
Milde Ausprägungen der Kreidezähne und überempfindliche Zähne behandelt der Zahnarzt mit Versiegelungen und Abdeckungen aus Kunststoff oder sogenanntem Glasionomerzement.
Ist der Zahnschmelz bereits eingebrochen oder abgesplittert, werden die Zähne mithilfe von Füllungen aus Komposit, einem Verbundkunststoff, restauriert.
Bei größeren Schäden am Zahn kommen Kronen aus Edelstahl oder Komposit zum Einsatz. Sie schützen den Zahn langlebig vor weiteren Schäden und machen die Zähne schmerzunempfindlicher.
In schweren Fällen kann es nötig sein, einen Kreidezahn zu ziehen. Diese Option kommt meist dann infrage, wenn der Zahnschmelz immer wieder abbricht oder der Zahn extrem schmerzempfindlich ist. Auch wenn aus kieferorthopädischer Sicht wenig Platz vorhanden ist, kann das Zahnziehen sinnvoll sein. Bei Backenzähnen wird die Lücke anschließend mit kiefernorthopädischen Methoden geschlossen.
Bei Kreidezähnen wirkt die übliche lokale Betäubungsspritze nur sehr schlecht. Der Zahnarzt sollte Ihrem Kind daher vor einer geplanten Behandlung Schmerzmittel verschreiben (am besten
Paracetamol
oder
Ibuprofen
). Er kann Ihnen auch sagen, wann und in welcher Dosierung Ihr Kind das Mittel einnehmen soll.
Solange die Auslöser für die Kreidezähne nicht gefunden sind, ist es unmöglich, der Erkrankung sinnvoll vorzubeugen. Sind die Kreidezähne schon vorhanden, lässt sich aber einiges tun, um die Symptome zu lindern und das erhöhte Kariesrisiko zu senken.
Kreidezähne sind kein Zeichen für eine vernachlässigte Mundhygiene – im Unterschied zu Zahnkaries, bei der eine zuckerreiche Ernährung und schlechte Zahnpflege die Zähne faulen lässt. Dennoch ist bei Kreidezähnen eine konsequente Zahnpflege mit Fluorid sehr wichtig – sie verringert das Kariesrisiko und macht die Zähne schmerzunempfindlicher. Konkret empfehlen Zahnärzte bei Kreidezähnen meist Folgendes:
Zusätzlich kann eine ausgewogene Ernährung helfen, Karies zu verhindern. Süßigkeiten sollten (wenn überhaupt) am besten als Nachtisch und nicht zwischen den Mahlzeiten verzehrt werden. Auf gesüßte Getränke sollte ganz verzichtet werden – bessere Durstlöscher sind Wasser und ungesüßter Tee.
Die ersten bleibenden Backenzähne ("Schulzähne" oder "Sechsjahrmolaren" genannt) verstecken sich zunächst hinter den Milchzähnen. Es reicht nicht aus, diese Zähne normal zu putzen. Stattdessen sollte man sie querputzen, also die Zahnbürste im rechten Winkel zur Zahnreihe vor und zurück bewegen.
Die ersten bleibenden Backenzähne Ihres Kindes müssen Sie querputzen. Dies kann Ihr Kind nicht allein! Außerdem sollte Sie die Zähne Ihres Kindes bis ungefähr zum neunten Lebensjahr sorgfältig nachputzen.
Überempfindliche Zähne, die schmerzhaft auf Kälte, Hitze oder Berührung reagieren, lassen sich mit desensibilisierenden Pasten behandeln. Diese enthalten Arginin oder eine Verbindung aus Caseinphosphopeptid und amorphem Kalziumphosphat (CPP-ACP). Sprechen Sie Ihren Zahnarzt darauf an!
Wegen des hohen Kariesrisikos sollten Kinder mit Kreidezähnen regelmäßig alle drei bis sechs Monate zum Zahnarzt zur Vorsorgeuntersuchung gehen.
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.
Sabrina Kempe ist freie Autorin der NetDoktor-Medizinredaktion. Sie hat Biologie studiert und sich dabei besonders in die Molekularbiologie, Humangenetik und Pharmakologie vertieft. Nach ihrer Ausbildung zur Medizinredakteurin in einem renommierten Fachverlag hat sie Fachzeitschriften und eine Patientenzeitschrift betreut. Jetzt verfasst sie Beiträge zu Medizin- und Wissenschaftsthemen für Experten und Laien und redigiert wissenschaftliche Fachbeiträge von Ärzten.
Kreidezähne
Kurzübersicht: Kreidezähne
"Volkskrankheit" Kreidezähne: Was ist das?
Wie häufig sind Kreidezähne?
Neue Erkrankung?
Kreidezähne: Ursachen
So läuft die Zahnschmelzbildung normalerweise ab
Verschiedene Auslöser für Kreidezähne im Verdacht
Kreidezähne: Symptome
Kreidezähne: Untersuchungen und Diagnose
Kreidezähne: Einteilung in Schweregrade
Kreidezähne: Behandlung beim Zahnarzt
Intensivprophylaxe
Versiegelungen und Abdeckungen ("Sealing")
Füllungen
Kronen
Chirurgische Maßnahmen
Kreidezähne: Das können Sie selbst tun
Zahnpflege mit Fluorid
Richtige Ernährung
Querputzen der neuen Backenzähne
Desensibilisierende Pasten
Regelmäßige Besuche beim Zahnarzt
Autoren- & Quelleninformationen